- 133 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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kleinster Intervalle muss genauso davon ausgegangen werden, dass Zeitgeber, Zähler und Gedächtnis vorhanden sind. Es stellt sich die Frage, wie eine neurologische Grundlage dieses internen Taktgebers aussieht.

Schwingungserzeugung im Gehirn: die Annahme von Oszillatoren

Schon im Abschnitt über den circadianen Rhythmus (vgl. Abschnitt 4.1.1) war vom Vorhandensein verschiedener zentraler Schwingungsgeber ausgegangen worden. So nehmen Aschoff oder auch Meier-Koll an, dass Schlaf- und Wachzeit sowie die Körpertemperatur von verschiedenen zentralen Oszillatoren gesteuert werden (vgl. Aschoff 1998, S. 140; Meier-Koll 1979, S. 179). Pöppel postuliert beispielsweise einen nicht weiter beschriebenen Gehirn-Mechanismus, der »wie ein oszillatorisches System mit einer Frequenz von etwa 30 Hz arbeitet« (Pöppel 1998, S. 372). Rammsayer geht davon aus, dass Reize mit einer Dauer über einer halben Sekunde im Arbeitsgedächtnis verarbeitet werden (zum Arbeitsgedächtnis vgl. Abschnitt 5.4.3). Für Reize, die kürzer als eine halbe Sekunde sind, vermutet er ein Verarbeitungsmodell, das einen Taktgeber sowie einen Zähler enthält, mit deren Hilfe Dauern an der Anzahl »neuronaler Pulse« (vgl. Rammsayer 2000, S. 88) gemessen werden. Wie allerdings das »neuroanatomische Substrat« (ebd.) für diesen hypothetischen Taktgeber aussehen soll, ist nach Rammsayer offen.

EEG-Rhythmen als Zeitgeber der biologischen Uhr

Wenn es eine biologisch angelegte innere Uhr gibt, stellt sich die Frage, welche Hirnfunktionen als Zeitgeber, Zähler und ›Notizblock‹ (Gedächtnis) wirken könnten. Grüsser vermutet die Zeitgeberfunktion in den periodischen elektrischen Spannungsschwankungen des Elektroenzephalogramms (vgl. Grüsser 1998, S. 123ff.). Das EEG misst die elektrische Hirnaktivität und ist in der Medizin vor allem ein diagnostisches Mittel, um Epilepsien oder andere Hirnerkrankungen festzustellen. Dazu wird mit Elektroden und Spezialverstärkern das Spannungsfeld an mehreren Punkten der Schädeloberfläche abgeleitet. An verschiedenen Orten des Kopfes werden unterschiedliche typische Frequenzbereiche gemessen. Diese Bereiche werden als Alpha-, Beta-, Theta- und Deltawellen bezeichnet. Dominierend ist der so genannte Alpha-Rhythmus der Großhirnrinde, der charakteristisch ist für Menschen im Wachzustand, die die Augen geschlossen haben. Der Alpha-Rhythmus weist eine Frequenz von ungefähr 10 Hz auf (vgl. Petsche 1997, S. 84; Grüsser 1998, S. 123f.). Ein anderer Frequenzbereich, der im Bereich zwischen 4–7 Hz gemessen wird, ist der Theta-Rhythmus. Diese Wellen sind typisch für den Hippocampus und andere Strukturen des limbischen Systems, dem entwicklungsgeschichtlich ältesten Teil der Großhirnrinde in der Tiefe des Temporallappens.

Für die Annahme, dass die beiden genannten EEG-Rhythmen als Schwingungsgeber für die zeitliche Orientierung fungieren, gibt es verschiedene Gründe. Zum einen geht der psychische Zustand von Desorientierung in der Regel mit einer deutlichen Veränderung im EEG einher (vgl. Grüsser 1998, S. 124ff.). Ebenso sind die Tiefschlaf-Phasen, in denen die zeitliche Wahrnehmung außer Kraft tritt, gekennzeichnet durch unregelmäßige und sehr langsame elektrische Spannungsschwankungen


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