- 16 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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der Musiké nur ein Bestandteil der untrennbaren Einheit von Sprache, Tanzschritt, Gestik und Musik. Merkmal der griechischen Sprache ist dabei deren quantitierender Charakter, den Silben selber wohnt eine verbindliche Länge bzw. Kürze inne, deren Verknüpfung dann Metren und Verse bildet (vgl. Georgiades 1949, Vorwort). Seidel (1993, S. 6) weist darauf hin, dass die klassischen Philologen den antiken Rhythmusbegriff mit ›Takt‹ übersetzt haben, eine problematische Vorgehensweise, da der moderne Taktbegriff ein akzentuierendes Prinzip meint. Hier taucht eine Problematik auf, die das Spannungsfeld von Betonung (Akzent) und Dauer betrifft: Kapitel 6 (vgl. Abschnitt 6.1.3) wird zeigen, dass es in der menschlichen Wahrnehmung zu Wechselwirkungen beider Bereiche kommt, dass diese nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind. Genauso schwierig ist es, für die Begriffe Rhythmus, Metrum und Takt klar voneinander abgegrenzte Definitionen vorzulegen, Abschnitt 8.1 wird dies für den aktuellen, musikpädagogisch relevanten Bereich ausführlicher darstellen.

Zurück zur Musikgeschichte: Platon (428/427 – 348/7) definiert »Der Name für die Ordnung der Bewegung sei Rhythmus« (zitiert nach Seidel 1998, Sp. 268), das Urteil darüber kommt der menschlichen Sinneswahrnehmung zu. Er begreift Rhythmen »als Geschenk der Götter an die Menschen« und schreibt ihnen die Fähigkeit zu, Menschen »in den Wirren und Verwirrungen des Lebens wieder auf die ursprüngliche, göttliche Ordnung einzustimmen« (ebd.). Die Zuschreibung von Gefühlen der Lust für diesen Prozess zur Rückgewinnung des inneren Gleichgewichts berührt hier schon die psychische Dimension des Phänomens Rhythmus. In der Tat werden die Kapitel 4, 5 und 6 zeigen, dass Rhythmus als wichtige biologische Funktion im menschlichen Dasein fest verankert ist und das Fehlen rhythmischer Ausgewogenheit als (psycho-)pathologischer Hinweis gedeutet werden kann (vgl. Abschnitt 5.2.2). Auch über die Sinneswahrnehmung, den eigentlichen Schlüssel zu rhythmischen Phänomenen, wird noch zu reden sein (vgl. Abschnitt 7.1).

Der Rhythmus-Begriff zwischen Abstraktion und Konkretisierung

Aristoteles (384–322) hebt den numeralen Aspekt des Rhythmus hervor, wenn er ihn definiert als »die Zahl an der Gestalt des sprachlichen Ausdrucks« (zitiert nach Seidel 1993, S. 7). So ist dann auch seit dem 1. Jahrhundert vor Christus die lateinische Übersetzung des griechischen Rhythmus-Begriffs numerus, dessen indogermanische Wurzel hinweist auf die Bedeutung von zählen und ordnen. Die enge Verbindung von Sprache und Rhythmus wird deutlich, wenn Aristoteles eigens hervorheben muss, dass Rhythmus nicht ausschließlich an das Wort gebunden sei, »sondern auch durch die Harmonie, allein durch ein Instrument, oder durch die Bewegung von Tanzenden zur Erscheinung gebracht werden könne« (Seidel 1998, S. 268). Aristoxenos (zw. 360 u. 354 – ~300) systematisiert die Thematik dahingehend, dass er den Rhythmus zum Gesetz erhebt, das von der zu rhythmisierenden Materie, dem Rhythmizomenon, unterschieden ist. Rhythmus ist nun nicht mehr definiert durch die Bewegung der konkreten Silben bzw. Schritte, sondern durch die der abstrakten Zeit, noch genauer durch die der ›ersten Zeit‹, griechisch ›chronos protos‹. Hiermit ist die Dauer gemeint, die im Sprechen oder in der Bewegung als vom Menschen nicht weiter teilbare Einheit wahrgenommen wird. Das abstrakte Prinzip Rhythmus gewinnt Leben durch das, was die griechische Antike ›Fuß‹


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