- 161 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Die komplexe Relation von gleichmäßigem metrischem Puls und unter Umständen unregelmäßiger, freier rhythmischer Gestalt muß erfaßt werden. Einen zusätzlichen Parameter stellt das komplizierte und dazu ebenfalls von Stück zu Stück variable Gefüge der Taktschwerpunkte dar. (ebd., S. 15).

Das Schema in Abschnitt 7.4 hatte die genannten Ebenen verdeutlicht.

Auch wenn im Umfeld von Musikausübung unter dem Stichwort ›Rhythmus‹ eher an konkrete Figuren (in der Regel aus verschiedenen Notenwerten bzw. Dauern zusammengesetzt) gedacht wird, muss doch darauf hingewiesen werden, dass Rhythmus im außermusikalischen Kontext mit Regelmäßigkeit und Wiederholung identischer (oder wenigstens ähnlicher) Zeitelemente in Verbindung gebracht wird. Der Rhythmus von Tag und Nacht, der Schrittrhythmus, der Atemrhythmus – immer handelt es sich um eine (ungefähre) Gleichabständigkeit. Im Spannungsfeld der Begriffe Rhythmus, Metrum und Takt sei erinnert an das Phänomen der andauernd gleichartigen Bewegungen, das als rhythmische Stereotypie bezeichnet wird (vgl. die Abschnitte 4.4.2 und 5.2.1). Hier wird die Bezeichnung ›rhythmisch‹ angewandt auf eine regelmäßige Bewegungsfolge, die einem Grundschlag, einem Metrum (im Sinne einer isochronen Ereignisfolge) vergleichbar ist.

Gleichabständigkeit – real vorhanden oder nur innerlich vorgestellt bzw. unbewusst empfunden – ist Bestandteil sowohl von Rhythmus, als auch von Metrum oder Takt. In der Gleichabständigkeit finden wir eine Art Schnittmenge musikalisch-zeitlicher Phänomene. Hier liegt der Kern, der Schlüssel zur Fähigkeit souverän mit Rhythmus und Metrum umzugehen: es ist davon auszugehen, dass das Empfinden für reale oder intern vorgestellte Gleichabständigkeit als Bedingung rhythmisch-metrischer Wahrnehmung und auch der Fähigkeit zur Gestaltung gelten kann. Das Hinzufügen von Akzentuierungen oder das Variieren der Dauern, die mit dem zugrunde liegenden isochronen Gerüst in Beziehung treten, sind erst denkbar, wenn besagtes Gerüst auch tatsächlich stabil ist.

Basis aller rhythmisch-metrischen Prozesse ist das Empfinden (bzw. die Steuerungsmöglichkeit) für ein stabiles Gerüst isochroner Einheiten.

Auch wenn – wie beispielsweise für die Musik des 20. Jahrhunderts oder den zeitlichen Bewegungsablauf im Sport – davon ausgegangen werden kann, dass unter dem Begriff Rhythmus (auch) azyklische, frei gestaltete Zeiteinteilungen erfasst werden, schränkt dies die Bedeutung des Isochronie-Prinzips nicht ein. Gestaltete Zeit braucht Bezugspunkte, auch wenn der Umgang mit diesen Bezugspunkten dann in Dehnung, Raffung oder Irregularität mündet. Womöglich kann erst auf der verinnerlichten, sicheren Basis der Gleichabständigkeit eine freie Zeitgestaltung gelingen.

Auch freie, ametrische Zeitgestaltung beruht auf dem Empfinden für das Prinzip der Isochronie.

Musikpädagogische Wege zu Rhythmus und Metrum müssen deshalb ihren Anfang nehmen in der Anbahnung des Empfindens von Regelmäßigkeit und Wiederholung. Gleichzeitig müssen methodische Wege dazu führen, dass Lernende dazu angeleitet werden, selbst regelmäßig-verlässlich zu agieren. Dass diese Wege nicht aus dem stumpfen Umgang mit endlosen Klatschfolgen bestehen dürfen, legt das enge Geflecht von Rhythmus und Metrum nahe, genau wie die Verwobenheit der


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