- 185 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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von Gestalten (oder Rhythmen) verursacht letztlich die (auch nicht objektivierbare) ästhetische Qualität von Ereignisstrukturen.

Neben dem Aspekt von Ästhetik spielt die menschliche Fähigkeit zur Gestaltwahrnehmung allerdings noch eine weitere wichtige Rolle: die Möglichkeit physikalische Reize (mehr oder weniger bewusst) miteinander in Beziehung zu setzen ist eine unverzichtbare Fähigkeit im Umgang beispielsweise mit Sprachreizen. Informationsverarbeitung muss dort scheitern, wo die Speicherung unzähliger unstrukturierter Einzelereignisse versucht wird (vgl. Abschnitt 5.4.4).

Gestaltwahrnehmung dient einerseits der Informationsverarbeitung, andererseits dem Empfinden ästhetischer Qualität.

Die biologische Programmierung von Abweichung

Grundsätzlich hat der Mensch das Bedürfnis nach Orientierungsmöglichkeit durch Strukturierung. Dies geht so weit, dass eine Folge gleichartiger Ereignisse innerlich strukturiert wird – in der Wahrnehmung also von der physikalischen Erscheinung abweicht (vgl. Abschnitt 6.1.3). Ein weiterer wichtiger Baustein in der Grundausstattung der Zeitverarbeitung ist die Wechselwirkung von Dauer und Akzentuierung. Betonte Elemente werden tendenziell verlängert, lange Elemente eher betont. Diese Abweichungen von der rechnerisch exakten Ausführung (in einem gewissen Rahmen) werden von Zuhörenden nicht nur toleriert, sondern geschätzt, sie bilden die Grundlage individueller Gestaltung und Interpretation.

Die beschriebene Wechselwirkung kann allerdings auch Probleme bereiten: dann nämlich, wenn Rhythmen musiziert werden sollen, in denen Betonungen und Längen nicht übereinstimmen. Dies betrifft beispielsweise Synkopen, kann aber auch bei nicht-synkopischen Rhythmen der Fall sein. Häufig ist auch die Neigung zu beobachten, melodisch exponierte Töne zu akzentuieren und/oder zu verlängern. Ziel eines Musikunterrichts muss sein, zu einem souveränen Umgang mit Längen und Betonungen – sowohl hinsichtlich gegenseitiger Unterstützung als auch möglicher Unabhängigkeit beider Bereiche – anzuleiten. Eine sinnvoll aufgebaute rhythmische Unterweisung wird den Anspruch des zu bewältigenden rhythmisch-melodischen Materials so genau wie möglich mit dem Leistungspotenzial der Lernenden abstimmen – und nötigenfalls reduzieren.

Angesichts der Wechselwirkungen von Betonung und Länge ist es in Problemsituationen günstig, Rhythmen auszuwählen, die keine Konflikte des beschriebenen Prinzips beinhalten.

Interindividuelle Unterschiede in der Verarbeitung von Rhythmen

Auch wenn die Versuchsaufbauten der experimentellen Psychologie kaum in Deckung gebracht werden können mit den Vorgängen im Umfeld des musikalischen Rhythmus, gilt es doch, ein Ergebnis besonders zur Kenntnis zu nehmen: es gibt Bereiche von Zeitverarbeitung, die völlig autonom und von außen unbeeinflussbar ablaufen. Ein Teil rhythmisch-metrischer Fähigkeit ist somit Interventionen von außen nicht zugänglich, lässt sich durch Übung nicht verbessern. Dies mag


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