- 193 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Dies ist natürlich keine Legitimation dafür, im Musikunterricht eine fatalistische Haltung einzunehmen und Lerninhalte und ihre methodische Aufbereitung mit fahrlässiger Beliebigkeit zu gestalten. Ein professioneller Unterricht auf hohem Niveau wird im Gegenteil alles daran setzen, das musikalische Lernen im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten zu inszenieren. Dazu gehört auch die zuversichtliche Haltung, dass Rhythmusfähigkeit (mit allen unterschiedlichen Fassetten) eine biologische Grundausstattung ist, die bis zum Jugendalter allerdings einer bedeutsamen Reifung unterliegt. Diese biologische Grundausstattung beinhaltet wiederum nicht automatisch – wie oben dargestellt – Fertigkeiten im Umgang mit Rhythmen, wie es ein traditioneller, ausschließlich an der Umsetzung von Notentext in Klang orientierter Musikunterricht vorsieht.
Eine angemessene pädagogische Einstellung in Bezug auf rhythmische Fertigkeiten beinhaltet einerseits eine positive Erwartungshaltung hinsichtlich des Reifungspotenzials, andererseits eine Akzeptanz der gegebenen individuellen Ausstattung.

8.6.  Was geht vor im Kopf? Neurophysiologisches Wissen und musikalisches Lernen

Hochindividuelles Wahrnehmen und Handeln geschieht auf der Basis universeller neurobiologischer Bedingungen. Wie Reize verarbeitet oder Handlungen gesteuert werden, unterliegt den Gegebenheiten, die im Evolutionsprozess entstanden sind. Im musikpädagogischen Kontext stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, wie – die in den vorhergehenden Abschnitten entworfenen Ansätze eines anthropologisch fundierten Musikunterrichts durch neurobiologische Erkenntnisse gestützt werden.

8.6.1.  Musikunterricht und Perzeption

Das Empfinden von Zeit geschieht nur mittelbar über alle verfügbaren Sinnessysteme (vgl. Abschnitt 7.1). In der Musikausübung spielen unterschiedliche Wahrnehmungsmodalitäten eine Rolle. Besonders wichtig sind das Hören, der Tast- und Berührungssinn sowie der kinästhetische Sinn. Aber auch der visuelle Sinn wird angesprochen, nicht nur dann, wenn Notenzeichen umgesetzt werden müssen, sondern auch, wenn auf nonverbale, mimisch-gestische Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten zurückgegriffen wird. Dabei verfügt besonders das Ohr über hoch auflösende Reizverarbeitungssysteme. Allerdings ist zu bedenken, dass es im Musizieren nicht darum geht, in klar umrissenen Aufgabenstellungen isoliertes Reizmaterial ›abzuarbeiten‹. Instrumental- oder Vokalklänge sind mit Sinustönen oder Clicks kaum zu vergleichen. Zwar werden in Augenblicken, in denen rhythmische Präzision oder Stabilität im Grundschlag im Mittelpunkt stehen, Aspekte wie Intonation oder Klangfarbe zurückstehen. Auch ist es möglich Vorübungen zu entwerfen, die Teilaspekte eines Gesamtzusammenhanges herausgreifen (vgl. Abschnitt 9.3.2, in dem beschrieben wird, wie noch vor dem Musizieren einer Melodie diese mit elementaren Instrumenten zunächst frei und dann metrisch begleitet wird). Dennoch


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