- 58 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Sprachwissenschaft auf einen Nenner zu bringen, entwirft er ein psychokybernetisches Modell. Rhythmen stellen in diesem Entwurf das Bindeglied zwischen stofflichen, konkreten Dingen und deren Interpretation dar. Für Benesch sind die vielfältigen Rhythmen in der physischen Existenz des Menschen ein Erklärungsansatz für dessen Psyche. Anders gesagt: Rhythmen sind für ihn der Sitz der Seele.

In Beneschs Modell werden Rhythmen als Muster bezeichnet, die von verschiedenen Trägern generiert werden und eine Information übermitteln bzw. eine psychische Befindlichkeit, eine Bedeutung herstellen (vgl. ebd., S. 39). So kann beispielsweise ein Feuer, das Rauch erzeugt, Träger sein. Indem eine Decke in zeitlichen Abständen über das Feuer gehalten wird, entstehen als Rauchzeichen Muster, die in der Ferne von Kundigen interpretiert werden und so eine Bedeutung erhalten. Ein anderer Träger ist das menschliche Nervensystem, dessen Erregungsleitung verschiedene Muster aufweisen kann, die zu jeweils unterschiedlichen psychischen Zuständen führen und somit Bedeutung erhalten. Im Falle von Musik sind Instrument oder Stimme Träger, die erklingenden Rhythmen die Muster, und die dadurch hervorgerufenen Stimmungen oder Gefühle Bedeutung.

Benesch betont die Interpretierbarkeit dieser Bedeutung: »Das Psychische weist grundsätzlich eine Inhaltsmehrdeutigkeit (Ambiguität) auf.« (ebd., S. 11). So kann ein und derselbe Rhythmus auf verschiedene Menschen durchaus unterschiedlich wirken, in Beneschs Terminologie unterschiedliche Bedeutung haben.

Wichtig ist Beneschs Hinweis, dass sich mehrere Ebenen der Musterbildung – also des Rhythmus – überlagern. Am Beispiel verschiedener Texte illustriert der Autor, wie unterschiedlich verschiedene Sprachstile auf die Hörenden oder Lesenden wirken. Eine besondere Rolle spielt dabei der Sprachrhythmus. Wenn das Modell von Träger, Muster und Bedeutung menschliche Erfahrungen erklären soll, muss es also verschiedene Ebenen integrieren. Mit Bezug auf einen Prosatext formuliert Benesch:

Der Sprachrhythmus und der Neuronalrhythmus sind trotz ihrer formalen und kategorialen Unterschiede untereinander nicht fremd, sie haben miteinander zu tun: beide sind Formgebungen oder Muster, und als solche wirken sie aufeinander. Sie können sich gegenseitig auslösen, die gegenseitige Anregung kann zu einer Weiterleitung mit einer adäquaten Rhythmik auf der nächsten Trägerebene führen, sie können sich gegenseitig stören, aber in der Regel ergänzen, überdecken und durchdringen sie sich wechselseitig zu einer höheren Rhythmusform. (ebd., S. 52).

Beneschs Modell lässt sich auf den vorliegenden Zusammenhang aus mehreren Gründen hervorragend anwenden. So sind die verschiedenen Körperrhythmen (und ihre Tendenz zur Koordination untereinander) schon thematisiert worden (vgl. Abschnitt 4.2). Der Körper, der ausführendes Organ von Musizierbewegungen ist, ist durchdrungen von verschiedensten Rhythmen, welche sich mit den zu realisierenden Musikrhythmen überlagern und in Wechselwirkung treten (vgl. Abschnitt 4.5). Genau so bedeutsam ist der Grundsatz von Bedeutungsoffenheit, von Ambiguität in Bezug auf (musikalische) Rhythmen. Bedeutung – bis hin zur ästhetischen Qualität – entsteht im individuellen Kontext und besitzt keine Allgemeingültigkeit (vgl. auch Kapitel 6, besonders Abschnitt 6.1.3). Benesch betitelt seine Ausführungen über den Rhythmus als vielfältiges Bindeglied zwischen verschiedenen Kategorien mit


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