- 59 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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der schönen Formulierung ›Zwischen Leib und Seele‹; genau dort spielen sich auch die Vorgänge rund um das Musizieren ab.

4.7.  Die Multiplizität von Musik- und Körperrhythmen: Chance oder Handicap? Ein musikpädagogischer Ausblick

Schon der Abschnitt über die lebenserhaltenden Funktionen des Menschen (vgl. Abschnitt 4.1) machte die Bedeutung – oder anders gesagt, die ständige Anwesenheit – von Rhythmen in biologischen Funktionen deutlich. Benesch betont deren gegenseitige Durchdringung und Einflussnahme. Sein Modell der kybernetischen Selbststeuerung des Menschen lehnt ein kausal-lineares Denken ab weil »Hochkomplexsysteme etwas anderes als Summationseinheiten isolierbarer Teilprozesse sind.« (Benesch 1988, S. 11). Musikbezogene Beispiele dafür sind die in Abschnitt 4.5.3 erwähnten Ebenen von Musikrhythmus, körperlicher Realisierung, individueller Gestaltung und (gegebenenfalls) Gruppen-Rhythmus.

Für den Bereich der Musikpädagogik stellt sich die Frage, ob die ›Omnipräsenz‹ von Rhythmus in der menschlichen Existenz eine große Chance für den Rhythmus im Musizieren darstellt, oder ob – im Gegenteil – die Durchdringung der verschiedenen Rhythmus-Ebenen eher als Handicap angesehen werden muss. Die Praxis zeigt, dass Rhythmus keineswegs jedem musizierenden Menschen in jeder Situation ›aus sich heraus‹ gegeben ist. In manch verzweifelter Unterrichtssituation scheint eher die These vom Handicap zuzutreffen: Musizierbewegungen rhythmisch adäquat zu koordinieren kann sich als schier unüberwindliches Hindernis gestalten. Die untrennbar verbundenen Einheiten dessen, was Benesch als Hochkomplexsystem bezeichnet (vgl. Abschnitt 4.6), sind in diesem Fall nicht im Einklang.

Wenn wir nun aber wissen, dass Rhythmen vom ersten Lebensmoment an existieren und zur Reifung und Entwicklung bereit stehen, muss es auch gelingen, diese Tatsache als Chance zu begreifen. Dann geht es nur noch darum, methodische Wege zu finden, die ihre Grundlage im komplexen Wissen um die rhythmischen Gegebenheiten des Menschen haben. So bietet uns das Vorhandensein von rhythmischen Stereotypien im frühen Bewegungsverhalten einen ersten Ansatzpunkt: simple, repetierte Muster stellen schon stabile, rhythmisch geprägte Verhaltensmuster dar. Weiter gilt es, Transfer-Effekte zu nutzen. Durch sensible Unterstützung kann eine interpersonelle Kommunikation rhythmisch gelungene Modelle als Anregung für eine intrapersonelle Veränderung übermitteln. Diese Vorgehensweise kann (auch) non-verbal geschehen und ist somit altersunabhängig. Der Weg führt dabei von einem Subjektrhythmus (Vorgabe der Lehrperson) zur Imitation durch die Lernenden. Diese nehmen den vorgegebenen Rhythmus als Objektrhythmus auf und transformieren ihn im eigenen Bewegungsverhalten wiederum zu einem Subjektrhythmus. Das biologisch verankerte Bedürfnis nach rhythmischer Koordination – im Sinne von Hebung der Ökonomie und Effektivitätssteigerung – sollte dann dafür sorgen, dass gelungene Subjektrhythmen verinnerlicht und gespeichert werden. Dies mag unbewusst geschehen. Im Bewusstsein jedoch werden ›gute‹ Rhythmen


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