- 71 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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(vgl. Bergmann 1987, S. 16). Hierfür ist ein differenziertes Wechselspiel von Ausführung und gleichzeitiger kontrollierender Rückmeldung notwendig – dieses gilt auch für Tätigkeiten wie etwa Tennisspielen, Maschineschreiben oder eben Musizieren (vgl. Shaffer 1982). Innerhalb solcher motorischer Aktivitäten spiegelt sich die Entwicklung von Geschicklichkeit (nach Shaffer ›skill‹) als Fortschritt von reaktiven Bewegungen hin zu einem Bewegungsfluss, verbunden mit einer Flexibilität in der Anpassung an die Erfordernisse einer unendlichen Vielfalt von Inhalten. Tatsächlich können Sprechtempo, Lautstärke oder Klangfarbe in der Regel automatisch den Notwendigkeiten angepasst werden, im Grunde kann jeder Erwachsene als geübt (›skilled‹) bezeichnet werden, so sehr ist Sprechen Bestandteil des alltäglichen Ausdrucks. Den während des Sprechens (oder anderer motorischer Fertigkeiten) ausgeführten Bewegungen ist gemeinsam, dass sie sich in Raum und Zeit – also rhythmisch – vollziehen. Shaffer formuliert: »the skilled performer gives the appearance of being unhurried, fluent, and avoiding abrupt accelerations« (ebd., S. 110).

Karl Th. Kalveram (2000, S. 196) sieht das Sprechen als Pendant zum motorischen Automatismus, diese Sichtweise wird durch die Alltagserfahrung gestützt, dass Personen auch dann noch flüssig weiter sprechen können, wenn ihre Gedanken zu anderen Themen abschweifen. Bestimmte Formen von Epilepsie können sogar gänzlich unbewusstes, stereotypes Sprechen auslösen (vgl. Bergmann 1987, S. 46).

Die ersten Lautbildungen sind gekoppelt an die Atemfunktion und lösen sich erst langsam dahingehend, dass auf einem Ausatmen verschiedene Laute gebildet werden (vgl. Papoušek 1994, S. 73). Für die gezielte Lautproduktion gilt der Zeitraum um den ersten Geburtstag als wichtige Entwicklungsphase, parallel erleben die Möglichkeiten der Lokomotion ebenfalls einen deutlichen Zuwachs. Diese Fortschritte im motorischen (auch die Sprech-Motorik betreffenden) Bereich spiegeln sich auch in neuroanatomischen Reifungsprozessen wie der Myelinisierung beteiligter Nervenbahnen (vgl. Papoušek 1994, S. 86). Bemerkenswert ist, dass die dann auftretenden Silbenverdopplungen, das oben schon erwähnte kanonische Lallen, als motorische Stereotypie, d. h. rhythmisch geprägte Bewegungsabfolge im Übergang von reflexhaften, unwillkürlichen zu gesteuerten, koordinierten Bewegungen (vgl. die Abschnitte 4.4.2 und 5.1.3) gedeutet werden kann. Auf den engen Zusammenhang zwischen Sprache und anderen motorischen Leistungen weist auch die Erfahrung aus dem therapeutischen Umfeld hin, dass Sprachentwicklungsverzögerungen häufig in Kombination mit motorischen Störungen auftreten. Bei 60 bis 70 % der in Sprachtherapie befindlichen Kinder zeigten Tests einen nicht altersentsprechenden Stand im Laufalter bzw. Handgeschicklichkeitsalter (vgl. Massinger und Keilmann 2000, S. 106). Auch Sabine Weinert (2000, S. 258) weist darauf hin, dass sprachauffällige Kinder Schwierigkeiten haben, rhythmisch zu tanzen, zu klatschen oder zu trommeln (ausführlicher dazu Abschnitt 5.4.2).

Rhythmus ist gemeinsames Merkmal von Sprache und Bewegung.
Beeinträchtigungen von Sprach- und Bewegungsrhythmus gehen häufig miteinander einher.

Das komplexe Ineinandergreifen von sensorischen und motorischen Anteilen stellt folgendes Schema (vereinfacht) dar. Dabei stehen die aus Punkten und Strichen bestehenden Linien für das neuronale Netzwerk, die gepunkteten Striche stellen angenommene Taktsignale einer hypothetischen inneren Uhr dar (vgl. Abschnitt 5.3),


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