- 193 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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2.4 Angst als Signal, Berührungspunkte zu Freud


Früh ist in Freuds Schriften die Vorstellung von der Angst als eines Signals nachzuweisen. Sie geht auf die Zeit seiner Freundschaft mit Wilhelm Fließ zurück und steht nach Alexander Mitscherlich in enger Verbindung mit der Auffassung, daß das Denken die Affektentwicklung auf jenes Minimum reduziere, welches für die Signalentwicklung unerläßlich ist. In der Schrift Das Unbewußte (1915) wendet Freud das Signalgleichnis bereits auf die Angst an. In der 25. Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse sagt er von der Angstbereitschaft, sie liefere ein Signal, das dem Ausbruch schwerer Angst zuvorkomme (Vgl. Vorwort zu "Hemmung, Symptom und Angst" 231).

     Entsprechungen psychoanalytischer Theorien zur Angst mit Schönbergs kompositorischem Schaffen regen Theodor Wiesengrund Adorno im amerikanischen Exil der vierziger Jahre zu den psychoanalytischen Deutungen von Schönbergs Musik an. Den Auffassungen der Psychoanalyse stehen im besonderen die Werke der frühen, hochexpressiven Schaffensphase der Jahre um 1910 nahe. In den späteren, zwölftönig komponierten Stücken ist nach Adorno das "Triebleben der Klänge" unterdrückt (Vgl. Philosophie der neuen Musik 82, desweiteren: 44, 47, 149, 153). Bis in die Gegenwart geht von Adornos Schriften eine lebhafte musikwissenschaftliche Diskussion aus (Vgl. Sonntag, Adorno in seinen musikalischen Schriften sowie Stuppner, "Aufstieg des Sinnlichen ins Geistige" 109, 113, 115; Nagler, "Restauration und Fortschritt" 153, 163 u.a.).

     Schönbergs wichtigster Zugang zur Psychoanalyse ist seine Anlehnung an Gustav Mahlers kompositorisches Schaffen. Auf Anraten eines mit Alma Mahler verwandten Wiener Psychoanalytikers konsultiert Mahler 1908 Sigmund Freud wegen Schwierigkeiten in der Beziehung zu seiner Frau. Mahler telegraphiert Freud aus Tirol. Auf das erste Telegramm mit der Verabredung des Treffpunkts folgt ein zweites, in dem Mahler absagt. Mehrmals bittet er erneut um Konsultation: immer mit dem gleichen Ergebnis. Nach Ansicht des Freud-Biographen Ernest Jones leidet Mahler an der Zweifelssucht seiner Zwangsneurose. Schließlich teilt Freud ihm mit, die letzte Möglichkeit ihn zu sehen sei Ende August, da er anschließend nach Sizilien reise. Freud und Mahler treffen sich schließlich in einem Hotel in Leiden. Vier Stunden spazieren sie durch die Stadt und führen dabei eine Art Psychoanalyse durch. Mahler, der mit der Psychoanalyse bis dahin nicht in Berührung gekommen ist, erfaßt sie, wie Freud feststellt, schneller als sonst jemand zuvor. Ernest Jones:


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