- 37 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Ausschlag in der Bewegung gibt" sowie im Sinne von "ausschlaggebender Augenblick" verwendet. Das mittelhochdeutsche "momente" liegt dem Maskulinum "Moment" in der Bedeutung von "Augenblick" zugrunde. Der Genuswechsel entspricht dem französischen le moment, "von dem auch die Verwendung im Sinne von 'Zeitpunkt' ausgeht" (Duden, Etymologie 466). Der Begriff "Moment" ist ursprünglich eine Kategorie der Kraft, der Bewegung und der Entscheidung. "Momentformen" in der Musik sind Formen der Entscheidung innerhalb der denkbar kürzesten Zeitspanne, ästhetische Gestaltungen eines ausschlaggebenden Augenblicks.

     Entscheidungen in labyrinthischen Lebenssituationen sind von höchster Verbindlichkeit. Sie sind Ursache des Entkommens, der eigentliche und einzige Ausweg aus einer die Existenz bedrohenden seelischen Situation. Die "Umkehr" setzt die Erinnerung des zurückgelegten Weges voraus. Erinnerungen an ausweglos erscheinende Lebenssituationen können in der Gestaltung klassische Formen annehmen. Die Sonatenhauptsatzform handelt vom inneren Kampf, der Entscheidung und der Erinnerung des Wegs zurück zum Ausgangspunkt.

     Das Labyrinth zielt in seiner Weitläufigkeit und Verzweigung auf Dauer. Es ist geradezu Abbild des Verweilens aufgrund einer wirklichen oder vermuteten Ausweglosigkeit. Die Möglichkeit des Ausweichens löst sich im Labyrinth auf. Der erlebte Moment ist von ausschlaggebender Bedeutung. Er wird zum Spiegelbild einer schier unendlichen subjektiven Zeitempfindung. Dauer ist die Erwartung einer Veränderung, die nicht eintritt. Erlebte "Unendlichkeiten" nehmen in der kompositorischen Gestaltung, einer Form des Sich-Erinnerns, Momentform an. Die Dauer wird aus der Perspektive außerhalb des Labyrinths zum Augenblick. Dauer und Augenblick fallen in der hochexpressiven Komposition zusammen.

     Im Verlaufe der sechziger Jahre untersucht Karl Heinrich Wörner in einer Reihe von Aufsätzen den Einfluß hoher Expressivität auf die kulturhistorische Entwicklung traditioneller musikalischer und dramatischer Formen. Sie erscheinen 1970 als Band 92 der "Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte" mit dem Titel Die Musik in der Geistesgeschichte, Studien zur Situation der Jahre um 1910. Angst und Einsamkeit der liebenden und verlassenen Frau sind die Themen des Ariadne-Mythos und des Monodrams Erwartung. Während der siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts komponiert Georg Benda ein Duodrama Ariadne auf Naxos nach einem Text von Johann Jacob Christian Brandes. Das Werk wird am 27. Januar 1775 im Schloßtheater in Gotha mit großem Erfolg uraufgeführt (Wörner, "Schönbergs Erwartung" 95).


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