in der Natur verortet glaubt und an die
Möglichkeit eines reinen Ausdrucks, bleibt zuletzt unter Eliminierung aller kulturellen
Elemente tatsächlich nur der Rückbezug auf etwas ureigenst Kreatürliches:
die
Stimme.
Und in der Tat ist die Stimme umfänglich in der Literatur für würdig befunden, um
Authentizität Ausdruck zu verleihen. In der unterstellten Authentizität soll sich
wiederum weniger ein in der Zeit ablaufendes Werden, als vielmehr ein zeitloser
Zustand spiegeln. Die Stimme als Natur verstanden ist danach nicht von dieser
Welt, sondern spielt sich im platonischen Ideenhimmel ab bzw. hat zur Referenz
das Ideal. Die Stimme im Allgemeinen und der Gesang in der Musik stehen
mit der Idealität im Einklang: »Das schon von der italienischen Renaissance
wiederentdeckte Prinzip ›a misura d’uomo‹ (nach Maß des Menschen), das
Geheimnis aller klassischen Proportionen zeitloser Schönheit, sollte uns neue alte
Orientierung sein. Musikalisch steht dann der selbst singende Mensch vor uns mit
seiner Stimme und ihren Möglichkeiten als Orientierung und Regulativ des
technisch und ästhetisch nicht nur machbaren, sondern auch des Angemessenen und
ebendrum dauerhaft Schönen« (Steinschulte 2000: 19). Eine solche Ansicht
scheint nur zu plausibel, kein fremdes Gerät ist notwendig, nur die körpereigenen
Stimmbänder nebst leiblichem Resonanzkörper, um die Stimme selbst zum
Klingen zu bringen. Hier möchte man einen wahren Ursprung verorten. So
heißt es des Weiteren bei Gradenwitz beim Vergleich des Klaviers mit anderen
Instrumenten: »Der Bläser leiht seinem Instrument den Atem seines Körpers und seiner
Seele, während seine Finger die technischen Gegebenheiten zu meistern haben«
(Gradenwitz 1986: 25). Das drückt sich – zur Erweiterung der Fallbeispiele – auch bei
André Gide und seinen »Aufzeichnungen zu Chopin« aus, wenn er schreibt:
»Zu oft imitiert das Klavier Beethovens das Orchester, so wie mancher Pianist
die Geige nachahmt und die Geige die Singstimme« (Gide 31993: 62). Bei der
Singstimme endet der Imitationsvergleich, so als ob sich daraufhin alles verjüngt
und weil der Ursprung aller Vergleiche endlich erreicht ist. Hier ist nicht mehr
zu vergleichen, zu repräsentieren mit der Lokalisierung des Ursprungs aller
Repräsentationen.
Instrumente haben da nur stellvertretende Funktion, wo die Stimme authentisch wirkt,
so lautet die mitlaufende Botschaft, wobei am Rande nur vermerkt sein soll, dass in der
Renaissance im Bereich der Musik, auf die sich Steinschulte bezieht, ja keineswegs eine
Wiederentdeckung geleistet wurde, sondern wie bspw. beim Gesang in der Oper
ein Gesangstil neu erschaffen, erfunden wurde: der »stil recitativo« eines Peri.
»[A]ngesichts der Tatsache, daß es sich um dramatische Dichtung handelte und daß
man also mit dem Gesang das Sprechen nachahmen müßte (und zweifellos hat
man niemals singend gesprochen), nahm ich an, daß die alten Griechen und
Römer (die nach einer verbreiteten Auffassung ihrer Tragödien auf dem Theater
vollständig sangen) eine Harmonie gebraucht haben müßten, die, indem sie
die Melodie des gewöhnlichen Sprechens übertraf, die Melodie des Singens so
absenkte, daß sie die Form eines Mitteldings annahm« (so Peri im Jahr 1600,
zitiert nach Gier 2000: 72). Annahmen, Anmutungen ersetzen das Wissen und
begründen Wiederentdeckungen, um die nicht zu wissen sind. Was man aber zu
wissen glaubt, ist im Übrigen aus Schriften geschöpft, aus jenen wiederum und
ebenfalls zweitrangig empfundenen Repräsentationsorganen, die die Stimme
nur ungenügend vertreten. Und die durch Gutenberg auf den Weg gebrachte
Medienrevolution Buchdruck