- 24 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Rudolph Hermann Lotze (1852) beschäftigte sich in seinem Werk »Medicinische Psychologie oder Physiologie der Seele« als Erster systematisch mit physiologischen Aspekten musikalischer Klangvorstellung. Er konstatierte, dass man sich mit Leichtigkeit Melodien mit allen Feinheiten harmonischer Intervalle klanglich vorstellen könne. Im Zusammenhang mit der Beschreibung dieser Fähigkeit des menschlichen Geistes wies er darauf hin,

dass keine Erinnerung von Tönen und Tonreihen vor sich geht, ohne von einem stillen intendirten Sprechen oder Singen begleitet zu werden. Dadurch wird jedes Tonbild mit einem schwachen Erinnerungsbilde nicht allein, sondern mit einer leisen wirklichen Erregung jenes Muskelgefühls associirt, das wir bei der Hervorbringung des Tones empfinden würden (Lotze 1852, S. 480).2

2 Wie aus seinen weiteren Ausführungen hervorgeht, verwendete Lotze das Verb »intendieren« nicht im heute gebräuchlichen Wortsinn (»beabsichtigen«), sondern auf Grundlage des lateinischen Wortstamms »intendere« im Sinne von »Anspannung« bzw. »Intensität«.

Er vertrat die Auffassung, dass es

allgemeine Gewohnheit der Einbildungskraft [sei], nie den Inhalt einer Wahrnehmung allein, sondern stets zugleich das Bild der körperlichen Lage und der Bewegungen, durch die wir sie erlangen, dem Bewusstsein wieder vorzuführen (Lotze 1852, S. 481).

Zur Veranschaulichung verwies er z. B. auch auf Augenbewegungen bei visuellen Vorstellungen und Zungenbewegungen bei gustativen Vorstellungen:

An keinen Geschmack erinnern wir uns, ohne zugleich der Bewegungen der Zunge zu gedenken, durch die wir ihn prüften, keine Gestalt steht vor unserer Phantasie, ohne dass wir auch jetzt wieder an die Bewegungen der Augen dächten, durch die wir ihre Umrisse zuerst verfolgten; keine Landschaft tritt in unserm Gedächtniss wieder auf, ohne dass wir zugleich uns einen bestimmten Standpunkt in ihr zuschrieben, von dem aus unsere Blicke sie überliefen und nach und nach ihre einzelnen Theile zusammenfügten (Lotze 1852, S. 481).

Bei den motorischen Prozessen im Stimmapparat bei musikalischen Klangvorstellungen handelt es sich gemäß R. H. Lotze also nicht um Willkürbewegungen, sondern um einen erlernten Automatismus. In Übereinstimmung mit der dualistischen Lehre ging Lotze davon aus, dass musikalische Vorstellungen nicht auf den Körper angewiesen sind. Er gestand motorischen Prozessen (insbesondere Bewegungen des Kehlkopfes) nur eine Rolle bei der primären Sinnesempfindung d. h. der physiologischen Registrierung auditiver (musikalischer) Reize durch den Gehörsinn zu:

Damit wir Töne von verschiedener Stärke und gesetzmässig verschiedenen Intervallen empfinden können, ist es ohne Zweifel nothwendig, dass unsere


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