- 33 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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wenn die Motorik im Vordergrund steht, so wird sie dennoch immer im Zusammenhang zur zuvor gemachten Lebenserfahrung und zu den über die Sinnesorgane registrierten Informationen betrachtet. Bereits John Broadus Watson soll gesagt haben: »We think with our whole bodies« (zitiert nach Frank J. McGuigan 1973, S. 374). Walter Pillsbury bestand darauf, dass Bewusstsein letztendlich durch Sinnesempfindungen in Verbindung mit Muskelbewegungen zustande kommt:

Consciousness is made up of sensation understood with reference to movement, and of movement in the light of and under the control of sensation (Pillsbury 1911, S. 99).

Diese Aussagen erinnern an die Emotionstheorien von Carl Lange (1885/1910), William James (1890/1909) und Antonio R. Damasio (2001), nach denen emotionales Erleben durch die kognitive Bewertung sensomotorischer Vorgänge im Körper erklärt wird. Demnach kommen Gefühle im wesentlichen durch die Bewusstmachung und Deutung physiologischer Veränderungen zustande. In Anlehnung an James (1890/1909, S. 376) lässt sich diese These sinngemäß folgendermaßen zusammenfassen: »Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern sind traurig, weil wir weinen«. Übertragen auf die musikalische Klangvorstellung würde dies bedeuten, dass motorische Prozesse im Kehlkopf auf der Grundlage zuvor gemachter musikalischer Erfahrung (z. B. Musikhören und Singen) im Bewusstsein z. B. im Sinne der Vorstellung von Tonhöhen interpretiert werden. Dies leitet über zum nächsten Kapitel, in dem diskutiert wird, ob motorische Prozesse möglicherweise der »Simulation« von Bewusstseinsinhalten dienen.

3.3.  Funktion der Imitation und Simulation

In den vorangegangenen Kapiteln wurden – vereinfacht gesagt – motorische Prozesse entweder als Begleiterscheinung oder als Ursache der Vorstellung deklariert. In diesem Kapitel sollen schließlich Theorieansätze diskutiert werden, die davon ausgehen, dass motorische Komponenten an der Nachahmung bzw. der Rekonstruktion oder Simulation zuvor wahrgenommener Strukturen in Gedächtnis- oder Verstehensprozessen beteiligt sind.

3.3.1.  Allgemeine Simulationstheorien

Nach Jean Piaget (1945/1962; 1966/1979) resultiert die Entwicklung von Vorstellungen aus der Fähigkeit zur zeitversetzten Imitation, einer Fähigkeit, die gegen Ende des sensumotorischen Stadiums der kognitiven Entwicklung, d. h. im zweiten Lebensjahr erworben wird. In dieser Phase lernt das Kind zwischen sich und der Umwelt zu differenzieren. Es erkennt sich selbst als Verursacher von Handlungen und beginnt, intentional zu handeln. So verwendet es z. B. seinen Stimmapparat, um Geräusche zu erzeugen bzw. gehörte Geräusche nachzuahmen. Die Ergebnisse dieser »Experimente« werden zur Konstruktion von Schemata genutzt, d. h. zusammengefasster und vereinfachter innerer Modelle. So werden demnach u. a. auch Zusammenhänge zwischen dem Einsatz des Stimmapparates und der zeitlichen Dauer


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