- 106 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Kinzler: So wie man Schönbergs "Harmonielehre" auch lesen kann als Legitimierung seiner eigenen Kompositionen bzw. als Auseinandersetzung mit den kompositorischen Problemen zur Zeit der Niederschrift des Buches, so kann man auch die "Philosophie der Neuen Musik" lesen als eine Auseinandersetzung Adornos mit seinen eigenen Kompositionen.


D.: Herr Kinzler, ich glaube, daß Adornos Meinung zur Zwölftonmethode etwas dialektischer ist, als Sie es in Ihrem Vortrag ausgedrückt haben. Er kritisiert diese Methode, weil sie eben so logisch und technisch war, daß man als Komponist immer wieder dieser Reihenlogik verfiel; andererseits aber weiß er auch, daß diese Methode eine Konsequenz aus dem objektiven Zwang der geschichtlichen Entwicklung des musikalischen Materials ist. Das heißt, so wie aus musikalischer Logik heraus die Tonalität zur freien Atonalität führt, führt nun die freie Atonalität mit der selben Logik zur Zwölftonmethode, weil man sich nämlich nicht in dem labilen Zwischenstadium der freien Atonalität halten konnte. Die Kontroverse zwischen Schönberg und Adorno ist im Grunde die Kontroverse zwischen einem Komponisten und einem Philosophen. So große Schwierigkeiten ein Komponist mit der freien Atonalität hat, so sehr ist ein Philosoph davon fasziniert, weil sie für ihn die Synthese von Expressivität und Logik ist, die ihm in der Zwölftonmethode nicht mehr gewährleistet erscheint. Denn das expressive Element kommt in dieser Methode eindeutig zu kurz.


Ich glaube dann auch, daß die Zwölftonmethode von Adorno nicht nur kritisiert wird von seiner philosophischen Position her, also vom Diktum der Verdinglichung, wie sie in der "Dialektik der Aufklärung" entfaltet wird, sondern daß er andererseits in dieser Methode eine geheime Analogie zur Tonalität verspürt und sie auch deswegen ablehnt: Diese Methode gilt ihm einerseits als Fortschritt, andererseits auch als Rückschritt. Denn wie man in der Tonalität gezwungen ist, permanent zur Tonika zurückzukehren, so ist man mit der Zwölftonmethode ein Gefangener der Zwölftonreihe und nicht mehr freies kompositorisches Subjekt.


Kinzler: Ich meine, auch an Adornos Kompositionen, speziell seinem Lied "Die Linien des Lebens", kann man zeigen, daß seine Auseinandersetzung mit dieser Methode nicht eine blanke, undialektische ist, sondern auch eine distanziert-ironische: Die Verwendung der Reihentechnik in diesem Lied einschließlich der "tonalen" Einschläge ist wohl eher zu verstehen im Sinne eines "Als ob".


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