- 107 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Rosemary Hilmar:

     

"Dr. Adorno war nur ein Schüler von Alban Berg."


Als die Verfasserin dieses Aufsatzes einmal mit Willi Reich über Alban Berg sprach, erinnerte er sich an einen Vortrag von Theodor Wiesengrund Adorno, der im Radio gesendet worden war. Diesen hatte er zusammen mit Alban Berg in seiner Wiener Wohnung angehört. Gegen Ende des Vortrags gab es eine Panne. Berg wurde plötzlich aufmerksam und sagte zu Reich: "Schade, daß wir diese Stelle nicht hören konnten. Das war sicherlich der einzige gerade Satz im ganzen Vortrag." Diese spöttische Bemerkung ist typisch österreichisch. Man wußte, daß Adorno deutscher Intellektueller war, denn so hatte er sich in seinem ersten Brief an Berg vorgestellt: "In Kürze etwas über meinen Bildungsgang: ich bin 1903 in Frankfurt geboren, absolvierte 1921 das Gymnasium und promovierte 1924 auf der Universität Frankfurt zum Dr. phil. aufgrund einer erkenntnistheoretischen Arbeit..." 1)


Den deutschen Intellektualismus bewunderte man einerseits und hatte eine Hochachtung davor, andererseits steckte in Bergs Bemerkung ein wenig Neid, weil er selbst nicht so flüssig zu formulieren verstand. Trotz Adornos intellektueller Begabung behielt Berg ihm gegenüber einen gewissen Abstand, möglicherweise weil sich Berg seiner eigenen Genialität intuitiv bewußt war und erkannt hatte, daß Adorno diese Begabung nicht gegeben war. Als Adorno jedoch im Jahre 1925 tatsächlich nach Wien kam, um Komposition bei Berg zu studieren, entwickelte sich seitens des Schülers eine ehrfurchtsvolle Bewunderung für seinen Lehrer, die Bergs Verhältnis zu Arnold Schönberg widerspiegelt. Seitens des Lehrers ein dankbarer Respekt und Verbundenheit, denn zu jener Zeit, in der die Wiener Schule zahlreichen polemischen Angriffen ausgesetzt war, trug Adornos schriftstellerische Tätigkeit wesentlich dazu bei, ihre Position zu festigen. Wenn also die berühmte "deutsche Gelehrtheit" ein wenig "g'pflanzt" wurde, spielte Theodor Wiesengrund Adorno eine sehr bedeutende Rolle in der Verbreitung des Verständnisses für die Werke der Wiener Schule, und wie andere Schüler dieser Art - man denke an die Schriftsteller, die zu Bergs Bekanntenkreis zählten wie beispielsweise Soma Morgenstern, Stefan Zweig oder Hermann Broch - wurde er von Berg als Freund und Schüler respektiert und oft um Rat gebeten. "Alles erfassen, müde durch tiefen Erkenntnisdrang, krank, zu den genialsten Noten (wie bei jenem Schaffenden) fehlt die Tiefe, Sehnsucht so groß aber nicht die Kraft, löschende Angst vor logischer Entgleisung, Übungssachlichkeit, ganz großer Denker, leidvolle Umgebungssehnsucht, Leidsehnen, erdenken, leidvoll den Körper fühlend, weil er ja gönnt (?), tief trauriger Mensch, psychisch lebt, ist ihm eigenes Leben, tiefe Verwundbarkeit und Seele, gewiß sich einzulassen, scharf hinzielender Intellekt, Gefahr zugunsten steigender Intelligenz, sieht er tausend Möglichkeiten, zuletzt verliert." 2)


Der Ton, in dem Berg an Adorno schrieb, verrät den Respekt, den er vor ihm hatte: "Lieber Doktor, ich habe beschlossen, im kommenden Frühsommer mit der Komposition einer Oper zu beginnen. Hierzu habe ich 2 Pläne, von denen einer ganz bestimmt ausgeführt


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