- 108 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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wird. Es fragt sich also welcher. Zu diesem Zweck frage ich auch Sie um Rat: Es ist: entweder "Und Pippa tanzt" oder Lulu (letzteres durch Zusammenziehung von "Erdgeist" u. "Büchse der Pandora" zu einem 3 aktigen (6-7 bildigend) Opernbuch Bitte höchste Diskretion!


Was sagen Sie dazu? Da ich unbedingt eins dessen (oder ev. beide) komponieren werde ist also eine Entscheidung welches von beiden (resp. ev. welches zuerst) vonnöten.


In Erwartung dessen grüßt Sie, lieber Wiesengrund, vielmals

Ihr  

alter Berg


In Eile! Bin ich Ihnen eigentlich einen Brief schuldig? Ich glaube, Ihre letzte Nachricht war eine Karte von Rom! (??)" 3)


Adornos Antwort auf diese Bitte ist leider nicht mehr erhalten geblieben. Er schrieb aber immer wieder seine Meinung über Literatur, vor allem über Wedekind. Man kann sich also vorstellen, wie die Antwort annähernd gelautet haben muß: "Ich habe viel Wedekind gelesen und mit dem größten Gewinn. Auch den Nachlaß, in dem die fremdesten und sonderbarsten Dinge stehen. Er hat den ganzen Surrealismus und auch manches von Kafka, eine zugleich absurde und völlig reale Phantasielandschaft, vorweggenommen. Kennen Sie das Prosastück `Mine-Haha oder über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen'? Es steht im ersten Band der Gesamtausgabe. Irre ich mich nicht, so gehört es zu den wichtigsten, was die deutsche Literatur der letzten 50 Jahre zuwege gebracht hat. Bei der größten Einfachheit, Banalität bleibt es völlig geheimnisvoll und ich bin weit entfernt davon, es verstanden zu haben. Aber wenn es in geistigen Dingen eine Wünschelrute gibt, hier klopft es sehr vernehmlich." 4)


Adornos Wunsch, ausschließlich Komponist zu werden, realisierte sich jedoch nicht: "Indessen ich mache mir um all das, aufrichtig gesprochen sehr wenig Sorgen, und wenn die ganze Habilitation - eine soziale, mir weder sachlich noch notwendige Angelegenheit - danebengelänge - so wäre es mir herzlich gleichgültig und au fond sogar lieb. Denn ich bin völlig auf Musik, will sagen aufs Komponieren eingestellt und auch wenn ich mich habilitieren sollte, würden die akademischen Verpflichtungen eine Nebenbeschäftigung bleiben. Mit dem Komponieren also habe ich unterdessen wieder energisch angefangen und ich glaube, es geht. Gerade an dem Tag, an dem ich verunglückt bin, habe ich das erste aus einem Zyklus von vier großen Liedern abgeschlossen und es scheint mir, daß es etwas taugt; ich kann Ihnen nicht sagen, wie gespannt ich auf Ihr Urteil bin; aber Sie erhalten die Lieder erst, wenn der Zyklus fertig ist, da sie nicht thematisch zwar, aber dem Formgewicht nach zusammenhängen etwa wie die vier Sätze eines klassischen Quartetts. Mir stellt sich immer deutlicher das Problem einer neuen technischen Verfahrungsweise, die in vollkommener motivisch-thematischer Strenge und Determiniertheit geübt wird, zugleich aber die Zusammenhänge konstruktiver Art gewissermaßen hinter den Kulissen verlegt und an der Aussenfläche ganz frei erscheint (im Gegensatz also etwa zur Technik der Kammersymphonie, wo überall sich eines aus dem anderen entwickelt wird). Ich halte nach wie vor daran fest, daß die Freiheit der Phanta-


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