- 20 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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D III: Meines Wissens hat sich Adorno mit Gadamer kaum auseinandergesetzt, nur mit dessen Lehrer Heidegger. Wohl aber führte Habermas eine Auseinandersetzung mit Gadamer. Habermas stellt einen Zusammenhang her, dem auch Adorno wohl zugestimmt hätte. Er rezipiert Gadamer mit dessen Konstruktion des hermeneutischen Zirkels durchaus positiv. Das wundert nicht, denn Gadamer entwickelt seine Konstruktion von Hegel her. Aber jetzt kommt die entscheidende Differenz angesichts der Ontologisierung des Zirkels, die bei Gadamer eine zentrale Rolle spielt. Dieser Ontologisierung widerspricht Habermas - das hätte Adorno wohl auch getan. Denn der Gedanke der "Flaschenpost", mit dem die "Philosophie der neuen Musik" endet, meint im Grunde genommen ein Ausbrechen aus dem Zwang des hermeneutischen Zirkels. Und das ist auch der Punkt, den Habermas gegen Gadamer ins Spiel bringt, wenn er sagt, der hermeneutische Zirkel sei wirklich ein Bewegungsgesetz, das die Erkenntnis wesentlich mitbestimme, aber es sei doch zu überlegen, ob man nicht irgendwann gewissermaßen aus diesem hermeneutischen Zirkel herausspringen oder ihn aufsprengen müsse. - Es wurde noch das erkenntnistheoretische Moment angesprochen. Dazu eine Anmerkung: Vieles von dem, was Adorno sagt (sich in eine Sache hineinbegeben und sich dem Gesetz, der Logik einer Sache fügen, aber gleichzeitig in Distanz zu dieser Sache sein, gewissermaßen in der Distanz der Reflexion), hört sich über große Strecken einfach wie eine Paraphrase Hegels an, nämlich dessen, was Hegel unter der Anstrengung des Begriffs versteht.


Sziborsky: Ja, das stimmt. - Ich möchte gerne noch etwas ergänzen. Der höchsten Form der Erfahrung des Kunstwerks korrespondiert ja das Kunstwerk selbst. Wenn Adorno vom Kunstwerk spricht, dann sagt er, "es erscheint", er spricht von "Aufblitzen", von "apparition" - Erfahrung vollzieht sich im Augenblick; dieses ist etwas ganz anderes als das, was Gadamer meint. Zumindest thematisiert Gadamer dieses nicht. Daß Kunstwerke sich von sich aus (als wären sie Subjekte) nur in Momenten, nur augenblickshaft erschließen und nicht kontinuierlich in der Zeit, ist ein wichtiger Gesichtspunkt bei Adorno.


D: Zu den "Dimensionen" der Erfahrung: Im Vortrag erwähnten Sie den Begriff des strukturellen Hörens, und Sie sagten auch, daß die verschiedenen Ebenen der Entfaltung des Wahrheitsgehaltes nicht getrennt werden könnten. Für mich hat "strukturelles Hören" eine Dimension, die auf einer unteren Ebene angesiedelt ist, die verwissenschaftlicht, positivistisch in Kategorien gefaßt werden kann. Den Gegenbegriff dazu hat Adorno in seinem Rundfunkvortrag "Schöne Stellen" vorgeführt, und zwar als "Verweilen im schönen Augenblick", was mir unvereinbar erscheint mit der Forderung nach strukturellem Hören. Daß ferner dieses `Aufgehen-im-Augenblick' mit den schlagartigen Erfahrungen des Wahrheitsgehaltes der Kunst nicht vereinbar ist, möchte ich gerne betonen. Hier ist dann auch die Stelle, an der die musikpädagogische Vermittelbarkeit von Kunst endet: das "Aufblitzen" der Wahrheit liegt jenseits der Grenze.


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