- 21 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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 Hans-Jürgen Feurich


 Theodor W. Adornos Kritik an Richard Wagner


 I


Adornos Kritik an Wagner ist bis in kleinste Details vorrangig geschichts- und sozialphilosophisch motiviert. Die theoretischen Voraussetzungen, aus denen heraus sie sich entfaltet, sind in der allegorischen Deutung des "Ring des Nibelungen" in seinem Buch "Versuch über Wagner" knapp zusammengefaßt: 1) "... es ließe sich angeben: daß der Mensch vom blinden Naturzusammenhang, aus dem er selber entspringt, sich emanzipiert und Macht über die Natur gewinnt, um ihr in letzter Instanz dennoch zu erliegen. Die Allegorik des Rings sagt die Einheit von Naturbeherrschung und Naturverfallenheit aus". Gemeint ist ein menschheitsgeschichtlicher Prozeß, in dem, nach Adornos Überzeugung, die Genesis der Vernunft in verhängnisvoller Dialektik mit ihrer Selbstzerstörung verquickt ist: Zunächst emanzipieren sich die Menschen von den blinden Naturkräften, indem sie einem Moment ihrer eigenen Natur, nämlich dem Selbsterhaltungstrieb, folgen und sich die äußere Natur durch wachsende technische Verfügungsgewalt unterwerfen. Sie unterliegen ihr jedoch in letzter Instanz, da die Bewältigung der äußeren Natur nur um den Preis der Unterdrückung der eigenen gelingt. Die technische Verfügungsgewalt schlägt somit als soziale Herrschaft und zugleich als Triebunterdrückung auf das Subjekt der Naturbeherrschung, nämlich den Menschen zurück. Damit aber verfällt die naturbeherrschende Vernunft selbst wieder der Natur. Denn in der rücksichtslosen, "verwilderten Selbstbehauptung" im Verhältnis der Menschen zueinander lebt jene naturwüchsige Furchtbarkeit und Ohnmacht wieder auf, die die Vernunft mit ihrer äußeren Naturbeherrschung bezwungen glaubte. Zur Instanz wahrhafter Aufklärung kann die Vernunft erst dann werden, wenn sie diesen blinden Naturzusammenhang reflektiert. 2)


Von diesem Endpunkt der geschichtsphilosophischen Reflexion her setzt Adorno seine ästhetischen und ideologiekritischen Kategorien und Maßstäbe an das Werk Wagners an, um es in wesentlichen Punkten der heimlichen Komplizenschaft mit jener Vernunft zu überführen, die sich dem Geltungsanspruch der herrschenden Mächte unterworfen hat. 3)


II


Der zentrale Vorwurf in Adornos Wagnerkritik richtet sich demzufolge gegen Handlungskonzeptionen, die den blinden Naturzusammenhang in Form illusionärer Trugbilder reproduzieren, statt ihn aufzubrechen. Reproduziert wird er vor allem durch Wagners Hinwendung zu mythischen Stoffen. Zwar sind Mythen nicht grundsätzlich das, was Adorno "falsches Bewußtsein" nennt: Sie sind ursprünglich auch Medium von Erkenntnis, und in der "Dialektik der Aufklärung" wird die Odyssee benutzt, um Spuren einer Urgeschichte der Vernunft zu sichern. In Wagners Version aber lenkt der Mythos von Erkenntnis, insbesondere der der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft ab. Mit Blick auf das Werk von


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