- 81 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (80)Nächste Seite (82) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



gleichsam als Melodie, die ansonsten in der Musik fehlt, mitkomponiert sei. Die im Orchestersatz fehlende Melodie wird auf der Bühne getanzt.


Adorno diagnostizierte mit klarem Blick die strukturellen Eigentümlichkeiten der Musik Strawinskys und die ihnen zu Grunde liegenden kompositionstechnischen Verfahren wie Schablonentechnik, Montage und eine dem Film ähnliche Schnittechnik. Er vernebelte diese Einsichten jedoch in fast allen Fällen durch die eben dargestellten Argumentations- und Assoziationsketten, so daß man sie aus ihrem sie überfremdenden Kontext bergen muß.


Der parodistische Zug der Musik Strawinskys ist Adonro natürlich nicht entgangen, die Mittel der Verfremdung, die Strawinsky benutzt, sind in der "Philosophie der Neuen Musik" alle beschrieben und in ihrer kompositionstechnischen Funktion erläutert.


Sie werden aber nirgends auf den Vorgang des Musikhörens bezogen, wie dies etwa eine Interpretation Strawinskys im Sinne des russischen Formalismus versucht und dabei auch zu wichtigen Einsichten über Strawinskys Werk gelangt, sondern werden vorwiegend unter dem einzigen, moralisierenden Gesichtspunkt der Verspottung gesehen: "Parodie, die Grundform der Musik über Musik, heißt etwas nachmachen und durchs Nachahmen verspotten." 32)


über einige vermittelnde Zwischenglieder wird dann diese Kritik auf den zentralen Regressionsverdacht bezogen und mündet damit in jenen Kreisverkehr, der zwar viele Einfahrten, aber keine Ausfahrt hat.


"Herkömmlichkeit" als Interpretationsansatz


Beschließen möchte ich diesen Versuch, die Strawinsky-Kritik von Adorno darzustellen, mit einer überlegung Marquards, der in einem Aufsatz mit dem schönen Titel "Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist" bedenkenswerte Hilfen anbietet, um Adornos Philsophie zu verstehen. Marquard geht von der schlichten Beobachtung der Zeitknappheit des Menschen aus, die ihn schonungslos seiner Herkunft ausliefere, da er nicht die Zeit habe, sich von seiner Vergangenheit "in beliebigem Umfang zu distanzieren". Daraus folgt: "die Herkömmlichkeit dominiert also die Veränderung: die Menschen werden ihre geschichtliche Herkunft stets überwiegend gerade nicht los; sie können weniger ändern, als sie wollen und niemals alles, sondern stets das meiste gerade nicht.


Auf diese sterblichkeitsbedingte Endlichkeitslage - auf die Herkömmlichkeit - antwortet die Hermeneutik; denn Hermeneutik ist das Ändern dort, wo man nicht ändern kann: dort muß man eben etwas statt dessen tun, nämlich interpretieren." 33)


Ich vermute, daß die Strawinsky-Kritik für Adonro diese Funktion auch hatte und daß man seine Musikphilosophie besser versteht, wenn man sie mit Marquard als eine "Schonstellung" begreift, als den Versuch, "jene geschichtliche Herkunft, die (als Textwelt oder als paratextuelle überlieferungswelt) uns (also auch Adonro,


Erste Seite (1) Vorherige Seite (80)Nächste Seite (82) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 81 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften