- 90 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Dieser offenbare Mangel des zwölftontechnischen Verfahrens - und daß "der

Verfall der Harmonik nicht mangelndem harmonischem Bewußtsein, sondern der Schwerkraft (der Kompositionstechnik)" zuzuschreiben ist, wird von Adorno explizit angesprochen 26) - stellt aber nicht die einzige kritische Komponente der Technik dar, vielmehr glaubt Adorno zeigen zu können, daß "das Mißlingen des technischen Kunstwerkes" - gemeint ist damit schlicht das mittels der Zwölftontechnik komponierte musikalische Kunstwerk - "an allen Dimensionen des Komponierens sich bezeichnen (läßt)." 27) Jener Abschnitt, dem das zu behandelnde Zitat entnommen wurde, ist einer von mehreren, die ihrerseits beispielhaft ausführen, daß der in der "Idee der Zwölftontechnik" gelegene Ausspruch, "musikalische Naturbeherrschung" zu sein, einen "Umschlag in Unfreiheit" bewirke. Die zuletzt genannten Stichworte: "Idee der Zwölftontechnik", "Musikalische Naturbeherrschung", "Umschlag in Unfreiheit", ihrerseits Kolumnentitel entsprechender Abschnitte in der "Philosophie der Neuen Musik", deuten bereits den dialektischen Umschlag an, der sich ereignete, als jene Tendenzen, die zur Zwölftontechnik führten und die anhand der Hauer-Kritik genannt wurden, sich zum System, eben der Zwölftontechnik, verfestigten. Der logische Ort dieses Sündenfalls wird von Adorno benannt: "Wohl ist unter den Regeln der Zwölftontechnik keine, die nicht aus der kompositorischen Erfahrung hervorginge. Das Unheil geschieht, sobald sie zu Normen erhoben und von (der) Konfrontation mit der konkreten Gestalt der Musik, auf die sie angewendet werden, dispensiert werden." 28) Verdinglichung von Erfahrung wäre das Stichwort, hier allerdings noch formuliert als "Vergegenständlichung" von "spontaner Erfahrung". Soweit die Darstellung jenes Argumentationszusammenhanges, den Adorno durchaus logisch-hierarchisch aufbaut und "systematisch" entwickelt, keineswegs bloß Argumente parataktisch nebeneinanderreihend; der Unterschied zwischen These und Argument ist durchweg noch gewahrt.


An der vorgetragenen Argumentationskette Adornos könnte auf nahezu jeder Ebene ihrer logischen Stufen Kritik geübt werden (ebenso könnte das, was im folgenden anhand der Harmonik gezeigt werden soll, an den anderen von Adorno behandelten Dimensionen - der Melodik, der Form usw.- ausgeführt werden); exemplarisch sei an der untersten Stufe, der Ebene der empirischen, der sinnlichkonkreten Erfahrung begonnen. An unterster Stelle stünde ein Protokollsatz, der etwa so lauten könnte: "In Takt 636 auf 637 findet ein harmonischer Wechsel statt, der mich, Adorno, unbefriedigt läßt; ich finde, die Harmonik bleibt stecken." Dies wäre zwar eine Aussage, die sich nicht unmittelbar überprüfen ließe, da man ja auf die Aussage Adornos angewiesen ist, jedoch gibt es keinen vernünftigen Grund, ihm dies nicht zu glauben. Aber schon auf einer nächsthöheren Stufe, die darin besteht, daß das Einzelsubjekt Adorno davon ausgeht, daß seine spontane ästhetische Reaktion inter- und intrasubjektiv verbindlich ist - also jener Übergang von "ich finde, daß" zu jener Formulierung, in der sie im Buch ja dann steht: "ein Beispiel harmonischen Steckenbleibens findet sich" -, der Übergang zur objektiven Ebene also, bereitet Schwierigkeiten grundsätzlicher, methodologischer Art. 29) Jedoch sei an einer anderen Stelle eingehakt, nämlich jener, an der Adorno die Begründung für diese seine Erfahrung zu liefern versucht, an der Behauptung, die konkrete Beschaffenheit der Harmonik jener Takte rühre nicht von einer direkten und


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