- 91 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (90)Nächste Seite (92) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



bewußten Entscheidung Schönbergs her, sondern sie sei ihm gewissermaßen unkontrolliert, gegen seinen Willen unterlaufen - eben weil er sich der Zwölftontechnik bediente und diese trotz "arithmetischen Stimmens" musikalisch sinnvolle Harmonik nicht zu garantieren vermöge, vielmehr sie nur vortäusche. Beachtenswert ist dabei auch Adornos sprachliche Formulierung: In dem bereits zitierten Satz über die "tonalen Einschübe" heißt es, daß diese sich "ohne den Willen der Komposition" ergäben, Einschübe, die "die wache Kritik der freien Atonalität" ausschlössen. Es wird objektiv argumentiert, entsprechend der Konstruktion von der Bewegung des objektiven Geistes, 30) die es nachzuzeichnen gelte: Nicht gegen den Willen des Komponisten heißt es, sondern den der Komposition; nicht der Komponist übt Kritik an schlecht entworfener Harmonik freier Atonalität, sondern diese selbst ist Organ der wachen Kritik. Sprachliche Gestalt und Sachverhalt sollen einander entsprechen: Ist der Komponist nicht länger Subjekt des Komponierens, so soll er auch nicht mehr grammatisches Subjekt sein.


Die Unterstellung, daß Schönberg den konkreten Verlauf der Harmonik in jenen Takten aus dem Streichquartett nicht der Kritik seiner musikalischen Vorstellung, seines inneren und gegebenenfalls äußeren Ohres, das doch des Musikers ganzer Verstand sei, unterzogen hätte, bilde den Ansatzpunkt der Kritik. Natürlich läßt sich ein Gegenbeweis im strengen Sinn nicht führen, der Art etwa, daß Äußerungen Schönbergs zitiert werden könnten, die belegen, daß ihn just jene Stelle besonders befriedige - wobei dann immer noch dahinstünde, daß Adornos Behauptung eventuell doch zuträfe, da Intention des Komponisten und ästhetisches Ergebnis keinesfalls identisch zu sein brauchen -, vielmehr lassen sich einige Argumente dafür angeben, daß es wahrscheinlich ist, daß die konkrete Gestalt der Harmonik jener Stelle in der Intention des Komponisten gelegen hat. (Daß hier auf der Ebene der Intentionen argumentiert wird, nicht auf der des ästhetischen Gelingens, sei eigens betont, und zwar gilt dies sowohl auf Seiten Adornos, der ja Intentionslosigkeit in der Vertikalen unterstellt, wie auch auf Seiten der Kritik daran).


Notenbeispiel 2 Schönberg, Forth String Quartet, Takt 636/637 (3. Satz) mit eingetragener Reihenanalyse




Das wichtigste Argument resultiert aus der spezifischen Faktur des Streichquartettsatzes der beiden Takte: Sie ist in beiden Takten nahezu identisch. Haupt- und Nebenstimme in 2. und 1. Violine ändern sich nur insofern, als die Bewegungsrichtungen der Intervalle jeweils umgekehrt werden, geringfügig auch diese


Erste Seite (1) Vorherige Seite (90)Nächste Seite (92) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 91 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften