- 68 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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üblichen Einheiten in Musik und Sprache betrachtet, ist es wahrscheinlich, daß das durch das Gedächtnis definierte Zeitfenster etwas größer ist, damit solche Einheiten effizient erkannt werden können.

Noch weiter geht die Frage, ob und wie lange eine Umdeutung des Gehörten, z.B. eine Änderung der Motivgrenzen oder der Kategorisierung nachträglich möglich ist. Wenn man etwa die Silbenfolge ›ein-kauf‹ hört, kann man sie als das Wort ›Einkauf‹ interpretieren. Diese Interpretation muß aber möglicherweise geändert werden, wenn als nächste Silbe ›haus‹ folgt. Dann ist (abhängig vom Kontext) im allgemeinen die Interpretation ›Ein Kaufhaus‹ sinnvoller, was sich allerdings wieder durch die nachfolgenden Silben ›ge-mach-ter pro-duk-te‹ zu ›Einkauf hausgemachter Produkte‹ ändern kann.

Als Strategien der Wahrnehmung sind ein früher Aufbau von Hypothesen denkbar, eine späte Interpretation, die auf mehr Informationen zugreifen kann oder eine Kombination von beiden. Aus der Analogie zur Sprache erscheint es sinnvoll, anzunehmen, daß es eine Bildung von Hypothesen gibt bevor das Zeitfenster gefüllt ist. Komiker benutzen häufig solche Erwartungseffekte, indem sie durch eine kurze Verzögerung eine bestimmte Interpretation nahelegen, die dann aber durch eine unerwartete Fortsetzung ad absurdum geführt wird. Es ist häufig so, daß der Hörer eine bestimmte Interpretation annimmt, bevor die entsprechenden Silben auftauchen, was bei abweichender Fortführung einen Überraschungseffekt bewirkt. Andererseits sind solche Erwartungen nicht festgelegt, sondern noch flexibel änderbar innerhalb des Zeitfensters des Kurzzeitgedächtnisses.

Für die Modellierung ist zunächst die Frage, wie schnell Interpretationen gebildet werden, weniger wichtig als die Frage, für wie lange eine Verfügbarkeit unkodierter Informationen angenommen werden kann, die eine globale Perspektive der Verarbeitung ermöglicht. Die Dauer der Verfügbarkeit bildet ein Zeitfenster, innerhalb dessen eine Kodierung erfolgen muß, außerhalb dieses Zeitfensters stehen die unverarbeiteten Informationen nicht mehr zur Verfügung. Die weitere Verarbeitung kann dann nur auf der Basis der schon kodierten Informationen erfolgen.

Für globale Theorien gibt es einige Methoden der Beschreibung, vor allem hierarchische Modelle, die sich bewährt haben. Diese sind aber kaum geeignet, dynamisches Verhalten zu beschreiben. Das Parsen auf der Grundlage einer Grammatik bleibt in der Sprache meist auf die Satzebene beschränkt, und die übliche Implementation des Parsing-Vorgangs eignet sich kaum, die Wahrnehmung von Menschen zu simulieren, denn sie erfolgt durch Backtracking, also seriell. Das menschliche Gehirn arbeitet dagegen hochgradig parallel. D.h. die menschliche Wahrnehmung kann vermutlich mehrere Interpretationsalternativen gleichzeitig aktivieren und entscheidet sich dann für eine, sobald genügend Evidenz erreicht ist oder eine zu große Länge oder Dauer bzw. Einschnitte im Informationsfluß die Auswahl einer Interpretation für die Speicherung nötig machen, z.B. am Ende eines gesprochenen Satzes oder bei einer längeren Pause in einem Musikstück.


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