- 115 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (114)Nächste Seite (116) Letzte Seite (138)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Auch das Gesangsstück erfüllt in gewisser Weise die Funktion, zwei unterschiedliche Charaktere miteinander zu verbinden. Auf der einen Seite verbreitet es eine zur filmischen Situation passende Atmosphäre und verklanglicht Kerns Stimmung, aber auf der anderen Seite wird seine Wunschvorstellungen in Bezug auf Valentine in dieses Stück projiziert. Das Stück selbst erinnert an Klänge aus einer anderen Welt und stellt eine Fiktion Kerns dar, die letztlich aber durch Auguste doch erfüllt werden kann. Der »gute Charakter« von Valentine, im Stück assoziativ gleichzusetzen mit der schönen, reinen Gesangsstimme, hat ihn dazu gebracht, über sich selbst, seine Situation und sein Verhalten zu reflektieren und begleitet passend Situationen auf seinem Weg aus der Isolation. Die Musik wirkt in diesem Fall wieder gleichzeitig auf mehreren Ebenen. Zum einen kann man bei diesem Stück, genauso wie bei der Verwendung des Tangos aus Weiss als Hintergrundmusik, in gewisser Weise von einem »musikalischen Zitat«123

123 Vgl. (Maas und Schudack1994, S. 36)
sprechen und ihr eine denotativ semantische Funktion zuordnen. Auf der anderen Seite erfüllt die Musik gleichzeitig eine konnotative Funktion, indem sie der Stimmungsuntermalung124
124 Vgl. (Maas und Schudack1994, S. 36)
dient. Gleichzeitig geht sie sogar noch einen Schritt weiter und ermöglicht dem Zuschauer eine emotionale Identifizierung mit Kern. Schmidt spricht in diesem Bezug von einer »affirmativen Funktion«.125
125 Vgl. (Schmidt1982a, S. 172)

Ähnlich wie in Bezug auf die Dramaturgie kann man bei der Verwendung der Musik ebenfalls von einem Netz sprechen, das über den Film und die einzelnen Handlungsstränge gesponnen wird. Auffällig ist auch, dass das musikalische Material, die kompositorische Grundsubstanz, schon vom ersten Einsatz an offen dargelegt wird. Bis auf ein paar kleine Ausnahmen126

126 Vgl. z.B. Segment 42 (Kern zeigt sich selbst an); S. 236
ist die Musik in diesem Film, wie es zu erwarten war, im Bezug auf ihre syntaktischen Funktionen ähnlich artifiziell und kunstvoll angelegt wie in den anderen beiden Filmen. Als Beispiel sei hier des Segment 12 (Valentine kümmert sich um den verletzten Hund) oder das Segment 65 (Kern auf dem Weg zur Show) angeführt.

Als letztes bleibt noch die Frage zu klären, warum Preisner der Musik die Form eines Bolero zu Grunde gelegt hat. Dieser erklingt zwar nicht immer, wird aber zumindest an vielen unterschiedlichen Stellen eingesetzt. Er liefert dem Film, ähnlich einem Perpetuum Mobile, die nötige Energie, die er aus sich selbst, bzw. seinem ersten Auftreten schöpft. Dem Zuschauer fällt er wohl am deutlichsten bei der musikalischen Begleitung der beiden Shows auf. Die Antwort auf diese Frage findet man am ehesten bei der Betrachtung des Handlungsaufbaus. Bei diesem Film ist, wie schon im Kapitel 4.3.2 dargestellt wurde, keine stringent verlaufende Handlung wie in den Filmen Blau und Weiss zu erkennen. Vielmehr werden hier – dem Zuschauer zunächst unzusammenhängend erscheinende – Episoden aneinander gereiht und miteinander verwoben. Der Kameramann Piotr Sobocin ski spricht in diesem Zusammenhang von einem »repetitiven Stil«, indem ähnliche Sequenzen aneinandergekettet werden:


Erste Seite (1) Vorherige Seite (114)Nächste Seite (116) Letzte Seite (138)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 115 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski