Die Verwendung der Musik Preisners ist für Kielowski ein Mittel, in seinen Filmen über die Grenzen eines kulturellen Kontextes
hinauszugehen. Kühn formuliert diesen Sachverhalt folgendermaßen: »Auf
umfassendere Weise eröffnet die Musik, daß Kielowski nicht an abgegrenzten
Sprachräumen festhält, sondern die Gemeinsamkeit einer kulturellen Identität
heraufbeschwört.«18
Mit La Double Vie de Véronique hat Kielowski auf dem Weg zu seiner Trilogie eine
hohe Stufe der Perfektion erreicht. Allerdings wurde dieser Weg, diese eingeschlagene
Richtung von vielen Kritikern oft nicht verstanden. Häufig wurde ihm vorgeworfen,
seinen Stil, seine Art und Weise die Welt zu betrachten, verleugnet zu haben. Kielowski selbst wehrt sich gegen diesen Vorwurf:
»I really don’t have any sense of having betrayed my own point of view,
...any of my opinions or my attitude to life.
The realm of superstitions, fortune-telling, presentiments, intuition, dreams,
all this is the inner life of a human being, and all this is the hardest thing to
film.[...] I’ve been trying to get there from the beginning. I’m somebody who
doesn’t know, somebody who’s searching.«19
Mit der Drei Farben-Trilogie setzt er seine Suche nach neuen präziseren Wegen, das innere
Leben von Individuen zu ergründen, fort. Diese Suche gipfelt in den herausforderndsten
Filmen seiner Karierre, in denen sein Anliegen am Deutlichsten zum Ausdruck kommt:
»You make films to give people something, to transport them somewhere else and it
doesn’t matter if you transport them to a world of intuition or a world of the
intellect.«20
Die Trilogie kann also als Höhe- bzw. Schlusspunkt einer stringenten Entwicklung
angesehen werden, die anhand einiger Punkte hier exemplarisch aufgezeigt
wurde.
3.2 Zur Idee der Trilogie
Ebenso wie im Dekalog war es der Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz, der die
grundlegende thematische Idee für die Trilogie lieferte. Kielowski erinnert
sich:
»Blue, white, red: liberty, equality, fraternity. It was Piesio’s idea that having
tried to film the Decalogue, why shouldn’t we try liberty, equality and fraternity?«21
Kielowski selbst hat zugegeben, dass die Konzeption der Drei Farben-Trilogie auf
einem großen Irrtum beruht. Fest stand zunächst nur, dass es um die Ideale
der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – gehen
sollte.
»Wir waren so ahnungslos, mein Co-Autor Krzysztof Piesiewicz und ich, daß
wir glaubten, die Farben der Trikolore würden von den Franzosen mit diesen
Begriffen gleichgesetzt. So wie wir Polen beim Weiß-Rot unserer Fahne an
den Adler und an das Blut denken. Aber offenbar ist es in Frankreich nicht
so.«22
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