gezeigten Noten dieses Themas entnommen. Vom reinen Höreindruck
würde man eher einen 4/4-Takt mit Auftakt erwarten. Das Thema B hat insofern eine
gewisse Ähnlichkeit mit dem Thema A, da es ebenfalls in Moll, fast im selben Metrum
erklingt, außerdem auch, zwar auf anderer Zählzeit, die charakteristische Punktierung
aufweist und gleichzeitig, durch Pausen getrennt, in eindeutige Phrasen einzuteilen ist.
Auch hier haben die Phrasen zum Teil gliedernde Funktion für die einzelnen
Einstellungen. Das Segment 14 beginnt mit dieser Musik: Nachdem Julie in
Einstellung 89 (letzte Einstellung von Segment 13) die Steine vom blauen Leuchter
abgerissen hat und diese zu Boden fallen, folgt der Schnitt. Sie steht auf der Galerie
(Einstellung 90) in ihrem Wohnzimmer und sucht dort nach Noten, die sie aber
nicht finden kann. Nachdem sie die Mappe zugeklappt hat, setzt die Musik ein
und verdeutlicht ihre Gedanken: Die Noten liegen auf dem Flügel. Als sie die
Treppe heruntergeht, erklingt der zweite Takt, unten angekommen der dritte.
Schließlich, nach dem Schnitt zur neuen Einstellung, in der sie in einer Nahaufnahme
beim Betrachten der Noten zu sehen ist, beginnt der vierte Takt. Während
die letzten Töne erklingen, faltet sie die Noten zusammen, lässt sie auf dem
Flügel liegen und geht in die Küche, da sie von dort das leise Weinen ihrer
Haushälterin, welches direkt im Anschluss an die Musik zu hören ist, vernommen
hat.
Obwohl die Musik in gewisser Weise auch im Bild begründet ist, kann man hier nicht
von Musik im »on« sprechen. Die Musik, der nebensächlich auch eine syntaktische
Funktion zukommt (Beginn eines neuen Segments), weist hier zum einen eine, nach Maas
konnotativ, semantische Funktion auf. Sie beschreibt, untermalt die Stimmung, die
Gefühlslage, in der sich Julie befindet, recht gut: traurig, melancholisch, suchend, zart
und zugleich zerbrechlich. Auf der anderen Seite verdeutlicht die Musik dem
Zuschauer, dass er es mit einer Expertin in puncto Musik zu tun hat, da Julie
das Notenbild in ihrem Kopf in Klänge umzusetzen vermag. Vielleicht ist dies
eine Andeutung darauf, dass Julie das Konzert an Patrices Stelle komponiert
hat; zumindest hat sie eine klare Vorstellung vom Klang der aufgeschriebenen
Noten.
4.1.3.2 Das Beerdigungsthema: Einbruch des Schicksals
»...as if the music itself were a (blue?) physical presence.«34
Den ersten »Einbruch« erlebt Julie noch im Krankenhaus. Die unisono erklingenden
Tutti-Akkorde brechen förmlich über sie herein, als sie in einem Stuhl döst und fast
mystisch wirkende blaue Lichtspiegelungen ihr Gesicht treffen. Stellen die blauen Fenster
am Balkon in Einstellung 73 vielleicht schon eine Vorahnung dessen, was passieren wird,
dar?
In diesem Segment ist ein außergewöhnlich exaktes Zusammenspiel von Licht, Ton
und Kamera festzustellen. Fast schon pathetisch inszeniert Kielowski diese Szene.
Zusammen mit den Akkorden der Musik taucht er das Bild in ein kaltes Blau
(Einstellung 74b). In der folgenden Einstellung (74c), während die Oboe einsam und
verlassen vom Rest des Orchesters die Takte 2 und 3 spielt, kommt zu dem
Lichteffekt noch eine Kamerafahrt, die den Zuschauer auf Distanz gehen lässt.
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