der Handlung: Der erste »Einbruch« widerfährt Julie im ersten Teil, der in gewisser
Weise als Einleitung fungiert. Die nächsten drei Male bricht die Vergangenheit im
dritten Teil über sie herein, als Julie in Paris ein neues Leben, frei von allen bisherigen
Bindungen, beginnen will. Die Häufigkeit des Auftretens in diesem Teil zeigt, dass Julie
von der Vergangenheit doch immer wieder einholt wird. Ein Leben, so wie sie es sich
vorstellt, scheint nicht möglich zu sein. Schließlich tritt das Thema ein letztes Mal im
vierten Teil auf – dramaturgisch betrachtet nach dem Wendepunkt. Diesmal
reagiert sie anders: sie will Sandrine kennenlernen. Zuvor noch hat sie gegenüber
anderen und gegenüber sich selbst versucht, die Erinnerungen und Gefühle zu
verdrängen: »Das ist nur Wasser«, antwortet sie Lucille, als diese ihre Tränen
bemerkt.
Der Beerdigungsmusik kommt hier neben syntaktischen
Funktionen44
(z.B. Verdeutlichung eines Schnitts, eines Segment- oder Sequenzabschlusses)
auch eine affirmative (die Musik erleichtert dem Zuschauer die emotionale
Identifizierung45
45
Vgl. neben (Schmidt, 1982a, S. 172) auch (Schneider, 1997, S. 67). Punkt 6 aus
Schneiders Katalog der wichtigsten Funktionen von Filmmusik lautet: Musik kann
Emotionen abbilden oder verstärken.
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mit der Protagonistin) und eine affizierende Funktion zu. Das Beerdigungsthema löst
beim Zuschauer begrifflose Affekte aus, die dieser auf die Bilder projiziert.
Prendergasts Feststellung »Music can be used to underline or create psychological
refinements – the unspoken thoughts of a character or the unseen implications of a
situation«,46
trifft ebenfalls auf die Verwendung des Themas A zu. Zudem wirkt die Musik in allen Szenen
polarisierend:47
Der eindeutige Charakter der Musik schiebt inhaltlich neutrale Bilder oder
doppeldeutige Bilder in die Richtung, die ihr Charakter vorgibt. Vor allem aber fungiert
das Beerdigungsthema als Ausdrucksmittel psychischer Erlebnisse. Lissa schreibt hierzu
in (Lissa, 1965, S. 175): »Sie (die Musik; Anm. des Verfassers) kann also –
zusammengefaßt – Zeichen folgender psychischer Erscheinungen sein: der Wahrnehmung
der Filmgestalten, ihrer Erinnerungen, ihrer Phantasievorstellungen, Träume, Visionen
und auditiven Halluzinationen, weiter ihrer Willensakte, hauptsächlich aber Gefühle,
Stimmungen, Affekte.«
4.1.3.3 Patrice’s Thema: Erinnerungen an die Vergangenheit
Patrices Thema tritt in etwas erweiterter Form wieder in Segment 18 (Sequenz 8) auf.
Die neue Sequenz beginnt direkt mit einer Detailaufnahme, die die von Patrice
geschriebenen Noten zeigt.
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| | Visuelle Ebene | Auditive Ebene
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| Nr. | Zeit | Bild | K. | Text | G. | Musik |
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| 110 | 18: | 16 | Kamera fährt über Noten | D/NS | – | – | T.1–2 |
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| 111 | 18: | 25 | J. steht neben dem Flügel und
betrachtet die Noten | N/NS | – | – | T.3–4 |
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| 112 | 18: | 39 | Kamera fährt über Noten | D/NS | – | – | T.5–6 |
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| 113 | 18: | 47 | J. liest Noten | G/US | – | – | T.7 |
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| 114 | 18: | 55 | Kamera fährt über Noten;
Notenlinie leer | D/NS | – | – | T.8; Pause
T.9(Zz.1–2) |
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| 115 | 19: | 03 | J. liest Noten | G/US | – | – | T.9(Zz.3–5)-10 |
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| 116 | 19: | 12 | J. schiebt Stütze des
Flügeldeckels langsam weg | D/OS | – | Knarren
der
Deckelstütze | T.11–12(Zz.1) |
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| 117 | 19: | 20 | J. von hinten, Deckel kracht
herunter nachdem der letzte
Ton verklungen ist | N/NS | Flügel in
Eigenresonanz | T.12(Zz.2) |
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| 118 | 19: | 23 | J. starr, Augen zu, atmet tief
ein, blaue Spiegelungen auf
ihrem Gesicht | N/NS | Flügel in
Eigenresonanz;
Atmen | – |
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Tabelle 4.5: |
Filmprotokoll Segment 18 |
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Charakteristisch ist in diesem Segment die Schnittfolge (vgl. Tabelle 4.5): obwohl Julie
das erste Mal beim Notenlesen aus einer anderen Perspektive gezeigt wird, kann man
hier von einem a-b-a-b-a-b Schnittmuster sprechen. Dazu passend ist die Musik (vgl.
Abbildung 4.4) in den ersten drei Einstellungen zweitaktig geschnitten.
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