- 59 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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Take eine Verbindung der beiden Themen A und B, die in dieser Konstitution einmalig im gesamten Film ist und auf deren Funktion noch gesondert eingegangen wird. Nach Schneider37
37 Vgl. (Schneider1997, S. 67)
stellt die Musik an dieser Stelle auch einen epischen Bezug her und weist in die Zukunft: Julie wird sich der Vergangenheit stellen und die Komposition vollenden.38
38 Hierbei handelt es sich aber nur um eine vage Vermutung, da der Zuschauer die Musik beim einmaligen Sehen des Films sowieso nicht so differenziert wahrnehmen kann. Vgl. Annahme Pflaums (Fußnote S. 90)
Neben der oben bereits erwähnten affirmativen und affektiven Funktion kommt der Musik auch hier wieder eine strukturierende, syntaktische Funktion zu. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, treibt Julie noch kurze Zeit wie tot an der Wasseroberfläche. Dann folgt der Schnitt, und der Zuschauer sieht, wie sie auf den am Boden liegenden Flötenspieler zugeht. Festzustellen ist ausserdem, dass der »Einbruch« hier, genauso wie im Krankenhaus, ohne einen direkten inhaltlichen Bezug geschieht. Als sie Antoine im Café begegnet, ist der »Einbruch« direkt an die Situation gebunden. Durch das Zusammentreffen und die Tatsache, dass er sie durch die Kette an den Unfall erinnert, kommen ihre Erinnerungen wieder hoch. An dieser Stelle im Film ist das jedoch nicht der Fall: Es gibt keinen direkten Auslöser oder kein auslösendes Moment.

Als Julie das nächste Mal im Schwimmbad ist, wird der »Einbruch« indirekt von Lucille ausgelöst, die fragend bemerkt: »Du weinst!?« (Segment 324). Daraufhin brechen die Tutti-Akkorde des Beerdigungsthemas39

39 Vgl. Abbildung 4.1
(Takt 1) erneut über sie herein. Wieder wird das Bild schwarz, und erst als der letzte Ton in Takt 3 der Solo-Oboe verklingt, hellt es auf. Julie antwortet daraufhin: »Das ist nur Wasser«, und schon wenige Sekunden später kippt die melancholische traurige Stimmung ins Komische um als Julie feststellt: »Du, du hast ja keinen Slip an«, und Lucille darauf antwortet: »Niemals!«40
40 Vgl. Einstellung 327

Auch der letzte »Einbruch« wird direkt durch eine Person ausgelöst. Als Julie bei Olivier zu Hause ist,41

41 Segment 58
und nach dem Mädchen auf den Photos fragt, antwortet er ihr: ». . . , aber sie haben sich im Justizpalast getroffen. Sie ist Anwältin, das heißt, eigentlich noch Anwaltsreferendarin.« Auch dieser »Einbruch« ist prinzipiell genauso wie die anderen gestaltet. Der Zuschauer sieht eine Halbnah- bzw. Nahaufnahme, und direkt folgend auf ein auslösendes Moment, in dieser Einstellung (392) die Frage: »Was wollen Sie jetzt machen?«, brechen wieder die Tutti-Akkorde des Beerdigungsthemas über Julie herein. Und ein letztes Mal verdunkelt sich das Bild, bevor sie nach Beendigung der Oboenphrase, wenn erneut aufgeblendet wird, antwortet: »Sie kennenlernen.« Darauf folgt ein abrupter Schnitt, und in der nächsten Einstellung sieht der Zuschauer in einer Großaufnahme Julies Füße, als sie die Treppe zum Gericht hochläuft (Beginn der Sequenz 20).

Das Beerdigungsthema tritt also insgesamt fünfmal in ähnlicher Form und dramaturgischer Gestaltung auf: Dreimal wird es direkt durch eine Person ausgelöst, zweimal, im Krankenhaus und im Schwimmbad42

42 An diesen Stellen wird deutlich, dass das häufige Schwimmengehen Julies seine Funktion – symbolisch betrachtet stellt es eine Reinigung von der Vergangenheit dar und ist ein Zeichen von Wiedergeburt und Neuanfang – nicht erfüllen kann, denn gerade im Schwimmbad wird sie immer wieder durch die »Einbrüche« von der Vergangenheit eingeholt.
(Segment 37), bricht es einfach so über Julie herein. Auffällig ist auch die Verteilung des Auftretens auf die Einteilung43
43 Vgl. S. 80

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