- 63 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (62)Nächste Seite (64) Letzte Seite (138)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

dass diesem Segment Patrices Thema unterlegt ist, weist auch darauf hin, dass Julie doch immer wieder von ihrem Schicksal, ihrer Vergangenheit eingeholt wird und es auf diese Art und Weise nicht bewältigen kann. Neben einer syntaktischen Funktion wirkt die Musik auch hier polarisierend: Sie verurteilt den Akt der Befreiung zum Scheitern.


PIC

Abbildung 4.5: Thema B in Segment 23


Eine ebenso polarisierende Wirkung hat das Thema, wenn es zart von der Gitarre gezupft erklingt, als Julie ihre neue Wohnung in Paris betritt. Das Thema besteht hier aus den Takten 1–8 (Abbildung 4.5). Allerdings folgt hier immer nach zwei Takten eine längere Pause. Zusätzlich erklingen vor den Takten 3–4, 5–6 und 7–8 jeweils noch längere, von der Klarinette gehaltene Töne. Zuerst sind die ersten beiden Takte eher leise im Hintergrund zu hören. Als Julie das Paket auf dem Hocker auspackt, ist noch nicht klar, dass es sich hierbei um den blauen Leuchter handelt, den sie als einziges Teil in Erinnerung an ihre Vergangenheit mitgenommen hat. Hierzu erklingen die Takte 3 und 4. Erst nachdem der letzte Ton dieser beiden Takte verklungen ist, wird deutlich, dass sich im Paket der Leuchter befand. Demzufolge wird die Musik im nächsten Einsatz (Takte 5–6 und 7–8) dominanter, sie rückt gewissermaßen in den Vordergrund. Nachdem Julie den Leuchter aufgehängt hat, spiegeln sich wieder leichte blaue Lichtreflexe in ihrem Gesicht, die Erinnerung kommt wieder hoch, sie ballt ihre Hand zur Faust, schließt die Augen und senkt verbittert ihren Kopf. Die Bedeutung der Musik ändert sich also im Verlauf dieses Takes: Zuerst dient sie hauptsächlich der Darstellung ihrer Stimmung und Gefühle: einsam, verlassen, melancholisch und traurig. In Verbindung mit dem blauen Leuchter stehen dann aber die Erinnerungen im Vordergrund, die die Musik dem Zuschauer übermittelt. Da zum Schluss auch allein durch den Leuchter und ihre Reaktion deutlich wird, was in ihrem Kopf vorgeht, kann man hier auch von einer Paraphrasierung sprechen. Eine syntaktische Funktion kommt der Musik hier auch zu, da nach ihrem Verklingen ein Schnitt zu einem neuen Segment folgt.

Von der musikdramaturgischen Gestaltung her stellt das Segment 32 eigentlich wieder einen »Einbruch« dar. Dieses Segment bildet aber eine Ausnahme, da hier nicht, wie sonst immer, das musikalische Material des Beerdigungsthemas verwendet wird. Als Julie im dunklen Treppenhaus sitzt, erklingt die vom Chor im Piano in tiefer Lage gesummte und von den Streichern im Pizzicato begleitete, der Komposition entnommene Melodie (vgl. Abbildung 4.6).


PIC

Abbildung 4.6: Thema B in Segment 32


Die Musik lässt die Szene im Treppenhaus eher gespenstisch wirken. Sie bricht nicht schubartig über Julie zusammen, sondern setzt leise und langsam ein, als sie die Augen schließt. Es folgen wieder blaue Lichtreflexe, die diesmal aber unerklärlich


Erste Seite (1) Vorherige Seite (62)Nächste Seite (64) Letzte Seite (138)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 63 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski