- 64 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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sind. Nachdem die ersten beiden Takte verklungen sind, öffnet sie wieder die Augen und atmet tief ein. Erst als sie ihre Augen wieder schließt, folgen die Takte 3–9. Auch hier wirkt die Musik polarisierend. Erst durch sie wird dem Zuschauer verdeutlicht, dass Julie wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Die Sequenz endet musikalisch offen (vgl. Takt 9 der Abbildung 4.6), und wieder folgt ein krasser Schnitt in eine neue Sequenz.

An einer weitere Stelle im Film (Segment 40) erinnert ein Stück des Flötenspielers sehr stark an Patrice’s Komposition. In Kapitel 4.1.3.4 wird auf diesen Take noch näher eingegangen.

Patrices Thema taucht insgesamt an sechs Stellen im Film auf. Die beiden ersten Male hat es einen direkten Bezug zum Bild: Julie betrachtet Patrices Noten, die passend zum Bild erklingen. Rein formell kann man nicht von Musik im »on« sprechen, aber trotzdem ist die Musik fest in der jeweiligen Handlung des Segments oder der Sequenz verankert. Drei weitere Male fungiert das Thema als Erinnerung an Julies Schicksal und repräsentiert ihre Gedanken, bevor es sie dann, in der Mitte des Films kompositorisch vereint mit dem Beerdigungsthema, schubartig im Schwimmbad überfällt. Hier wird deutlich, dass die beiden Themen, die sich, wie bereits festgestellt wurde, sowieso sehr ähnlich sind, nicht voneinander zu trennen sind. Wenn Julie über den Tod ihres Mannes und ihrer Tochter, für den das Beerdigungsthema steht, hinwegkommen möchte, muss sie sich ihrem Schicksal, ihrer Vergangenheit stellen. Zur Vergangenheit gehört auch Patrices Komposition, der das Thema B entstammt. Die beiden Themen gehören gewissermaßen zusammen, was genau in der Mitte des Films kompositorisch gezeigt wird. Dies ist auch die Stelle, an der, obwohl der eigentliche Wendepunkt erst nach der Sequenz 18 erfolgt, die Protagonistin ihren absoluten Tiefpunkt erfährt.

4.1.3.4 Die Musik des Flötenspielers

Als Julie im Café sitzt (Segment 29) und gerade den ersten Löffel ihres Eises isst, hört sie zum ersten Mal den Flötenspieler auf der Straße, der die Melodie in Abbildung 4.7 spielt.


PIC

Abbildung 4.7: Melodie des Flötenspielers in Segment 29


Obwohl die Musik Julie hier nicht direkt an Patrices Komposition erinnert, wird schon an dieser Stelle, zu Beginn des dritten Teils, in dem sie sich von allem (auch von der Musik) lösen möchte, deutlich, dass dies nicht möglich sein wird. Vielmehr findet sie Gefallen an dieser Musik. Kunstvoll hervorgehoben wird die syntaktische Funktion der Musik durch den Schnitt zum Segment 30: Der Sprung ins Schwimmbecken ist, wenn man im Metrum weiterzählt, genau auf die erste


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