- 71 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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ihrem Partner an der Reihe. Als diese, kurz bevor sie auf die Bühne muss, Julie im Fernsehen erblickt, setzt ein neues Stück Musik ein, das zwar in der Art und Weise ähnlich wie das erste Stück ist, dessen Tempo nun aber fast doppelt so langsam ist. Während Julie im Fernsehen die Sendung über Patrice verfolgt, ist die Musik die ganze Zeit im Hintergrund zu hören.

Als Julie ihre Mutter besucht und in der Einstellung 296 in einer Detailaufnahme alte Familienphotos zu sehen sind, in denen sich Julie und ihre Mutter spiegeln, ist eine an osteuropäische Tanzkapellen erinnernde Musik zu hören. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass es sich hierbei ebenfalls um Musik im »on« handelt, da sie von der Mutter mit der Fernbedienung ausgeschaltet wird. Die Musik erzeugt an dieser Stelle, passend zum Bild (Spiegelungen in den Photos), eine etwas skurril und dubios wirkende Atmosphäre und ist zur Situation kontrapunktisch58

58 Vgl. (Pauli1978, S. 35)
angelegt. Genauso wie die Bilder, die Julies Mutter im Fernsehen sieht,59
59 Einen alten Mann beim Bungee-Jumping.
stellt die Musik hier ebenfalls einen Gegenpol zu der eigentlich tragischen, eher traurigen Situation (Julies Mutter, die ihre eigene Tochter mit ihrer Schwester verwechselt und nicht mehr klar denken kann) dar.

4.1.4 Zusammenfassung: Drei Farben: Blau

Zbigniew Preisner berichtet über die Entstehung der Musik zu Blau:

»Ich schrieb diese Musik vor den Dreharbeiten, denn sie bestimmt die Atmosphäre des Films. Noch bevor die erste Einstellung gedreht wurde, wußten wir, wo jedes einzelne Stück plaziert würde. Und beim Schnitt stellte sich heraus, daß das wunderbar funktionierte. Mit Krzysztof spreche ich nie über den technischen Aspekt der Musik, nur über Atmosphäre, Gefühle.«60

60 Preisner, zit. nach dem Presseheft zu Weiss; herausgegeben vom Concorde Filmverleih, München

An diesem Zitat wird deutlich, welche Bedeutung der Musik in diesem Film zukommt. Auf jeden Fall spielt dieser Film im Vergleich mit Weiss und Rot eine Sonderrolle, denn die Musik ist hier ein fester Bestandteil der Handlung (nach Maas eine reflexiv semantische Funktion). Demzufolge verwundert es auch nicht, dass die Musik fast immer im »on« zu hören ist. Die Musik erfüllt nach Maas, der die Funktionen in einem strukturalistischen Modell61

61 Vgl. (Maas und Schudack1994, S. 35–36)
gliedert, semantische Funktionen. Konnotativ ist sie, da sie u.a. zur Stimmungsuntermalung oder physiologischen Stimulation dient, denotativ, weil sie z.B. durch das Beerdigungsthema Julies Denken, oder andere, dem Bild/Auge allein unsichtbare Inhalte, zum Vorschein bringt. Ferner repräsentiert die Musik auch Ort und Zeit oder fungiert als gesellschaftliche Deskription (Musik in der Strip-Bar). Gleichzeitig ist sie Informationsträger62
62 Vgl. (Lissa1965, S. 175)
und stellt verschiedene Arten psychischer Erscheinungen (z.B. Julies Erinnerungen) dar. Besonders eindrucksvoll in der Gesamtdramaturgie inszeniert sind die musikalischen »Einbrüche«, die Julie erlebt.

Fast in jedem Take hat die Musik auch gleichzeitig eine syntaktische Funktion.63

63 Vgl. hierzu (Schmidt1988, S. 419), (Maas und Schudack1994, S.36) oder (Kloppenburg1986, S. 42–43)
Hierbei ist sie filmgliedernd angelegt, indem sie Sequenz-, Segmentabschlüsse oder

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