- 5 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (4)Nächste Seite (6) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

- 2 - Herbert Rosendorfer, Briefe in die chinesische Vergangenheit


Dennoch sei sie sehr sinnvoll, sagt Herr Shi-shmi, und wenn ich wolle, könne ich die Schrift sicher auch lernen. Aber vorerst beschränke ich mich aufs Zuhören.

Sie setzten sich dann im Kreis mit dem Blick zueinander (ich hielt mich abseits im großen Sessel in der Ecke, um so wenig wie möglich zu stören), vor sich hatten sie kleine, eiserne Gestelle, auf denen die Blätter mit der Musikschrift ruhten, und dann begannen sie ungeniert, ihre Instrumente zu stimmen, was fürchterlich klang. Ich meinte zunächst, das sei schon die eigentliche Musik, aber dann erklärte mir Herr Shi-shmi  der wohl mein verzerrtes Gesicht gesehen hatte  lachend den wahren Sachverhalt.

Die Musik erinnert am ehesten an jene Art unserer Musik, die der unvergleichliche Su Ch'i-po aus den westlichen Ländern mitgebracht hat: sie besteht aus sieben Haupt- und fünf Nebentönen, und die Harmonie und Reinheit der Töne ist sehr stark erhebend. Am besten gefiel mir ein ziemlich langes, aus verschiedenen, teils rasch, teils langsam gespielten Sätzen bestehendes Werk des Meisters We-to-feng, der  sagt Herr Shi-shmi  vor etwa zweihundert Jahren gelebt hat. Von Meister We-tofeng sind viele unterschiedliche Werke überliefert; allein für die Art der Musik der Himmlischen Vierheit (so etwa wäre die Bezeichnung in unserem Sinn zu übersetzen) hat Meister We-to-feng siebzehn Werke geschrieben. Die Werke insgesamt sind numeriert, und das, welches gestern abends gespielt wurde, trägt die Nummer »132«. Es beruht auf dem Grundton »A«  wie mir Herr Shi-shmi sagte , der etwa unserem »Yü« entspricht.

Es versteht sich von selbst, daß sich diese mir in jeder Hinsicht ungewohnte Musik mir nicht vom ersten Ton an erschloß. Ich saß also da in meinem Sessel in der Ecke; es war Abend. Alle Lampen hatten sie um sich versammelt, ich saß im Dunkeln, was mir aber recht war. Ich muß gestehen: ich habe in dieser kalten und lauten Welt so wenig Schönes und so viel Dummes, Albernes und Unsinniges vorgefunden, daß ich in meinem Innersten, wenn ich ganz ehrlich in mich hineinhorchte, eher geneigt war, auch die Musik dieser Welt häßlich zu finden. Die Musik des Meisters We-to-feng hatte in mir keinen fruchtbaren Boden zum Aufsprießen ihrer Blüten zu erwarten.

Der Herr, der die eine Wi-lo-ling spielte  Herr Shishmi sagte mir später, daß dieser Herr ein hervorragender Meister auf seinem Instrument und daß sein Beruf die Musik sei; er sei als der Anführer der kleinen Gruppe zu betrachten; er spiele »die erste Wi-lo-ling« , dieser Herr, dessen Name zu lang und klanglos ist, als daß ich ihn mir merken konnte, gab, als alle mit  ich muß zugeben erhabenem Ernst ihr Instrument unters Kinn beziehungsweise zwischen die Knie geklemmt und den Bogen angesetzt hatten  mit dem Kopf durch ein kurzes Nicken das Zeichen zum Anfang. Das Cheng-lo begann mit getragenen, tiefen Tönen, und nach und nach fielen die anderen

Instrumente ein und führten die Melodie in die Höhe. Es war eine sehr einfache Melodie und sehr leise. Dann folgte ein rascher gespielter, teilweise lauterer Teil, der aber immer wieder durch getragene, verhaltene Abschnitte unterbrochen wurde.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (4)Nächste Seite (6) Letzte Seite (109)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 5 -epOs Verlag Osnabrück - epOs-Music - Humor in der Musik - Musik in der Literatur