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aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


(S. 25-32)

Erika, die Heideblume. Von dieser Blume hat diese Frau den Namen. Ihrer Mutter schwebte vorgeburtlich etwas Scheues und Zartes dabei vor Augen. Als sie dann den aus ihrem Leib hervorschießenden Lehmklumpen betrachtete, ging sie sofort daran, ohne Rücksicht ihn zurechtzuhauen, um Reinheit und Feinheit zu erhalten. Dort ein Stück weg und dort auch noch. Instinktiv strebt jedes Kind zu Schmutz und Kot, wenn man es nicht davor zurückreißt. Für Erika wählt die Mutter früh einen in irgendeiner Form künstlerischen Beruf, damit sich aus der mühevoll errungenen Feinheit Geld herauspressen läßt, während die Durchschnittsmenschen bewundernd um die Künstlerin herumstehen, applaudieren. Jetzt ist Erika endlich fertig zurechtgezartet, nun soll sie den Wagen der Musik in die Spur heben und auf der Stelle zu künsteln anfangen. So ein Mädchen ist auch nicht geschaffen. Grobes auszuführen, schwere Handarbeit, Hausarbeit. Sie ist den Finessen des klassischen Tanzes, des Gesanges, der Musik von Geburt an vorherbestimmt. Eine weltbekannte Pianistin, das wäre Mutters Ideal; und damit das Kind den Weg durch Intrigen auch findet, schlägt sie an jeder Ecke Wegweiser in den Boden und Erika gleich mit, wenn diese nicht üben will. Die Mutter warnt Erika vor einer neidischen Horde, die stets das eben Errungene zu stören versucht und fast durchwegs männlichen Geschlechts ist. Laß dich nicht ablenken! An keiner Stufe, die Erika erreicht, ist es ihr gestattet auszuruhen, sie darf sich nicht schnaufend auf ihren Eispickel stützen, denn es geht sofort weiter. Zur nächsten Stufe. Tiere des Waldes kommen gefährlich nah und wollen Erika ebenfalls vertieren. Konkurrenten wünschen Erika zu einer Klippe zu locken, unter dem Vorwand, ihr die Aussicht erklären zu wollen. Doch wie leicht stürzt man ab! Die Mutter schildert den Abgrund anschaulich, damit das Kind sich davor hütet. Am Gipfel herrscht Weltberühmtheit, welche von den meisten nie erreicht wird. Dort weht ein kalter Wind, der Künstler ist einsam und sagt es auch. Solange die Mutter noch lebt und Erikas Zukunft webt, kommt für das Kind nur eins in Frage: die absolute Weltspitze.

Die Mutti schiebt von unten, denn sie steht mit beiden Beinen fest im Erdboden verwurzelt. Und bald steht Erika schon nicht mehr auf dem angestammten Mutterboden, sondern auf dem Rücken eines anderen, den sie bereits hinausintrigiert hat. Ein wackliger Grund ist das! Erika steht zehenspitzig auf den Schultern der Mutter, krallt sich mit ihren geübten Fingern oben an der Spitze fest, welche sich leider bald als bloßer Vorsprung im Fels entpuppt, eine Spitze vortäuschend, spannt die Oberarmmuskulatur an und zieht und zieht sich hinauf.


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