8.3. MelodieDie Melodie der Etüde Nr. 12 kann unter drei besonders aussagekräftigen Blickwinkeln betrachtet werden: die Wellenbewegungen beider Hände, die einem cantus firmus ähnliche Linie der mit Akzenten versehenen Noten der rechten Hand, und schließlich die Basslinie. Letztere wurde schon in der harmonischen Analyse ausführlich beschrieben, so dass auf sie nicht mehr eingegangen werden muss. Die beiden ersten Aspekte sollen jedoch hier analysiert werden. In der Etüde verlaufen beide Hände fast stetig in parallelen Wellenbewegungen. Der Abstand zwischen ihnen bewegt sich meistens zwischen einer Oktave und einer Dezime, obwohl kleinere oder größere Intervalle auch vereinzelt vorkommen. Die einzigen Abweichungen zum ›puren‹ Parallelismus sind in den T. 16, 18, 20, 24, 26, 28, 72, 74, 76, 78 und 80 zu finden, in denen Chopin für jeweils einen halben Takt den Parallelismus in eine Gegenbewegung verwandelt (Abbildung 8.14). Die Rarität dieser kontrastierenden Stellen in Gegenbewegung gibt ihnen eine besondere Wichtigkeit, die bei einer Performance sehr wohl akustisch betont werden könnte.
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