Die beiden außergewöhnlichen Quartsprünge im cantus werden von allen (T. 63/64)
bzw. von drei (T. 66/67) Pianisten durch eine Atmung vorbereitet. Dieselbe
agogische Verformung wird von allen bis auf Sokolov in T. 64/65 und von allen bis
auf Lortie in T. 70/71 verwendet. Darüber hinaus wird dieser letzte Materialwechsel
von Lortie und Sokolov mit einem rallentando vorbereitet.
Die stark kontrastierenden T. 81–83 werden von allen Pianisten – aber in
verschiedener Weise – interpretatorisch betont. Lugansky, Pollini und Sokolov
gestalten den Schlussakkord mit einer leichten Atmung, wobei Fialkowska, Lortie
und Sokolov accelerandi bzw. rallentandi einbauen (Abbildung 9.2).
9.2. Dynamik
Die von Chopin angegebenen und die von den Interpreten benutzten Lautstärken werden
in Abbildung 9.3 vorgestellt. Wie für die Etüde Nr. 11 wurden hier nur die
eindeutigen Abweichungen notiert, und im Zweifelsfall Chopins Anweisungen
kopiert.
Im Vergleich zur anderen Etüde gibt es hier nur sehr wenige nennenswerte
Abweichungen zu Chopins Angaben:
- Der verminderte Quartsprung im cantus (T. 12/13) wird von Lugansky durch ein
zwei Takte langes crescendo vorbereitet.
- Die zum ersten Mal in T. 15–16 vorgestellte Wellenbewegung auf vier Oktaven wird
von Lortie und Pollini ebenfalls mit einem crescendo eingeleitet.
- In T. 23 wird das neue, unerwartete und etwas weichere As-Dur von
Fialkowska und Lugansky entgegen der klaren Anweisung Chopins mezzo
piano gespielt. Die drei anderen Pianisten bauen dagegen am Ende des
Abschnittes in dieser Tonart ein decrescendo ein, um damit erstens den
Wechsel zur Dominante zu markieren, und zweitens dem sehr langatmigem,
in T. 31 anfangenden poco a poco crescendo etwas mehr Spielraum zu
lassen.2
Es ist bedeutend leichter, den Eindruck eines crescendos zu erwecken, wenn man leise
anfängt!
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- Der wichtige Registerwechsel in T. 44/45 wird von Fialkowska und Sokolov durch
ein plötzliches Zurücknehmen der Lautstärke gekennzeichnet.
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