9.3. Cantus und Bass
Bei der Auswertung der Partitur und der parametrischen Analyse konnte der genaue
Ablauf des cantus aufgrund der unregelmäßigen Platzierung der Akzente nicht eindeutig
festgelegt werden. Um dieses Problem zu beheben, wurden alle fünf Aufnahmen nach
plötzlichen Lautstärkeaushebungen analysiert. Die Resultate dieser Analyse kann man in
zwei Kategorien einordnen.
1) Merkmale, die allen Pianisten gemeinsam sind:
- Die T. 7–8 und 53–54 beinhalten immer eine sehr klar hervorgehobene absteigende
Melodie im kleinen Finger der rechten Hand.
- Der paukenähnliche Bass in T. 81–83 wird ebenfalls von allen Pianisten
verdeutlicht.
- Generell darf behauptet werden, dass die Akzente in der rechten Hand viel stärker
als die der linken betont werden (Ausnahmen werden weiter unten aufgelistet).
Meistens wird die linke Hand sogar völlig akzentfrei gespielt.
- In T. 45–46 wird die aufsteigende chromatische Linie im Bass betont. Man darf
daraus schließen, dass diese Linie trotz Registerwechsel und Kreuzung der Basslinie
dem cantus angehört (Abbildung
9.5)3
Man könnte auch argumentieren, dass an dieser Stelle der cantus schwebend auf dem G bleibt und
der Bass plötzlich eine wichtige melodische Rolle übernehmen muss. Im Hinblick auf die Interpretation
ist dieser Unterschied jedoch unwichtig: Es wird dort nicht mehr die Melodie im Daumen der rechten
Hand, sondern im kleinen Finger der linken Hand betont.
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- Die Akzente im Tenor werden allgemein ebenfalls lauter gespielt als die ›Echos‹ im hohen
Register.
- In T. 15, 17 usw. wird die höchste Note aufgrund der Ähnlichkeit mit den ein Takt
langen Wellenbewegungen ebenfalls akzentuiert, wenn auch Chopin diese zusätzlichen
Akzente nirgends notiert hat.
- Aufgrund des hohen Tempos und der pianistischen Schwierigkeit, das Gewicht der Hand
nur für eine Note auf den kleinen Finger zu verlagern, wird oftmals nicht nur
die akzentuierte Note lauter gespielt, sondern auch einige Noten davor oder
danach.
- Die am Anfang von T. 17, 19 usw. mit einem Doppelhals versehene Note wird nur sehr
selten – und dann schwach – akzentuiert.
2) Unterschiede zwischen den einzelnen Versionen:
- Der zum größten Teil chromatische Anstieg im Bass, T. 55–70, wird von Lugansky
und Pollini ab T. 61 und von Fialkowska ab T. 64 durch eine Akzentuierung der
Bassnoten in den Vordergrund gebracht.
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