Die Kritik Jean François Lyotards an der Moderne konzentriert sich auf das
Vernunftprinzip der Moderne. Dabei handelt es sich um die Legitimation einer Sorte der
Weltinterpretation als der einzigen richtigen Wissensform. Nach Lyotard betrifft dieses
Legitimationsprinzip den Entstehungsprozess der Wissenschaft. Im Prozess der
Institutionalisierung der wissenschaftlichen Erkenntnis erhält die Wissenschaft
gegenüber den anderen Erzählungen die Herrschaft über die Erkenntnis der
Wahrheit. Soweit die Wissenschaft institutionalisiert wird, teilt sie die Totalität des
Sprachspiels17
Aber die Wissenschaft selbst unterliegt auch dem Legitimationsdruck, weil sie ihre Herrschaft nicht allein durch ihre Institutionalisierung bestätigen kann. Im Zusammenhang mit dem Problem der Legitimation der modernen Wissenschaft entsteht die wesentliche Paradoxie der Moderne: Die Legitimation der Wissenschaft stützt sich auf die Metaerzählungen bzw. die Erzählungen über die kulturgeschichtliche Rolle der Wissenschaft. Infolgedessen wohnt der modernen Wissenschaft ein mit ihren eigenen methodologischen Kriterien unvereinbarer geschichtsphilosophischer Kern inne. Bei Lyotard besteht daher das Legitimationsprinzip der Moderne in dem Legitimationsdiskurs, insofern dieser Metadiskurs auf große, eine Geschichtsphilosophie implizierende Erzählungen zurückgreift. Der Metadiskurs, den Lyotard als »Meta-Erzählungen« oder »große Erzählungen« bezeichnet, umfasst jene Leitideen und universellen Konzeptionen, die alles Wissen und Handeln in einen Zusammenhang rücken und auf ein Ziel hin versammeln, und die Funktion haben, die Institutionen, die sozialen und politischen Praktiken, Gesetzgebungen, Ethiken und Denkweisen zu legitimieren. Lyotard zufolge dient der Diskurs des deutschen Idealismus als eine große Erzählung. Im deutschen Idealismus findet das Wissen seine Gültigkeit in einem sich entwickelnden Subjekt, indem es seine Erkenntnismöglichkeiten aktualisiert. Hegels Geschichtsphilosophie spricht von der Selbstverwirklichung des Geistes in der Geschichte. Nach ihr sind wissenschaftliche Erkenntnis und moralisches Handeln Momente im Prozess einer sich zunehmend durchsetzenden Vernunft, so dass alles Weltgeschehen am Ende einen humanen Sinn offenbart, Vernunft und Geschichte also in eins fallen. Lyotards Ansicht nach kehrt Hegels Philosophie zum narrativen Wissen zurück, indem er die Geschichte des »Lebens« eines »Subjektes« behandelt: d. h. er produziert eine Metaerzählung.18
Die geschichtsphilosophische Auffassung der Moderne und des wissenschaftlichen Denkens reduziert sich mithin auf ein Prinzip der Legitimierung: die metaphysische |