- 16 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Die Kritik Jean François Lyotards an der Moderne konzentriert sich auf das Vernunftprinzip der Moderne. Dabei handelt es sich um die Legitimation einer Sorte der Weltinterpretation als der einzigen richtigen Wissensform. Nach Lyotard betrifft dieses Legitimationsprinzip den Entstehungsprozess der Wissenschaft. Im Prozess der Institutionalisierung der wissenschaftlichen Erkenntnis erhält die Wissenschaft gegenüber den anderen Erzählungen die Herrschaft über die Erkenntnis der Wahrheit. Soweit die Wissenschaft institutionalisiert wird, teilt sie die Totalität des Sprachspiels17
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Siehe Kapitel 6.3.
in zwei Welten: das narrative und das wissenschaftliche Wissen. Durch die Institutionalisierung kommt dem wissenschaftlichen Wissen seine soziale Gültigkeit zu. Die narrativen Erzählungen gelten dabei als ungeeignet für die Erkenntnis der Wahrheit.

Aber die Wissenschaft selbst unterliegt auch dem Legitimationsdruck, weil sie ihre Herrschaft nicht allein durch ihre Institutionalisierung bestätigen kann. Im Zusammenhang mit dem Problem der Legitimation der modernen Wissenschaft entsteht die wesentliche Paradoxie der Moderne: Die Legitimation der Wissenschaft stützt sich auf die Metaerzählungen bzw. die Erzählungen über die kulturgeschichtliche Rolle der Wissenschaft. Infolgedessen wohnt der modernen Wissenschaft ein mit ihren eigenen methodologischen Kriterien unvereinbarer geschichtsphilosophischer Kern inne. Bei Lyotard besteht daher das Legitimationsprinzip der Moderne in dem Legitimationsdiskurs, insofern dieser Metadiskurs auf große, eine Geschichtsphilosophie implizierende Erzählungen zurückgreift.

Der Metadiskurs, den Lyotard als »Meta-Erzählungen« oder »große Erzählungen« bezeichnet, umfasst jene Leitideen und universellen Konzeptionen, die alles Wissen und Handeln in einen Zusammenhang rücken und auf ein Ziel hin versammeln, und die Funktion haben, die Institutionen, die sozialen und politischen Praktiken, Gesetzgebungen, Ethiken und Denkweisen zu legitimieren.

Lyotard zufolge dient der Diskurs des deutschen Idealismus als eine große Erzählung. Im deutschen Idealismus findet das Wissen seine Gültigkeit in einem sich entwickelnden Subjekt, indem es seine Erkenntnismöglichkeiten aktualisiert. Hegels Geschichtsphilosophie spricht von der Selbstverwirklichung des Geistes in der Geschichte. Nach ihr sind wissenschaftliche Erkenntnis und moralisches Handeln Momente im Prozess einer sich zunehmend durchsetzenden Vernunft, so dass alles Weltgeschehen am Ende einen humanen Sinn offenbart, Vernunft und Geschichte also in eins fallen. Lyotards Ansicht nach kehrt Hegels Philosophie zum narrativen Wissen zurück, indem er die Geschichte des »Lebens« eines »Subjektes« behandelt: d. h. er produziert eine Metaerzählung.18

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Die Enzyklopädie des deutschen Idealismus ist die Erzählung der »Geschichte« dieses Subjekt-Lebens. Aber was sie produziert, ist eine Metaerzählung. [. . . ] Der deutsche Idealismus beruft sich auf ein Metaprinzip, das zugleich die Entwicklung der Erkenntnis, der Gesellschaft und des Staates begründet, in der Erfüllung des »Lebens« eines Subjekts, welches Fichte »göttliches Leben« nennt und Hegel »Leben des Geistes«. In dieser Perspektive findet das Wissen zunächst seine Legitimität in sich selbst, und es ist das Wissen, das sagen kann, was der Staat und die Gesellschaft sind (Lyotard, J. F., Das postmoderne Wissen, Wien: Passagen, 1994, S. 103–105).

Die geschichtsphilosophische Auffassung der Moderne und des wissenschaftlichen Denkens reduziert sich mithin auf ein Prinzip der Legitimierung: die metaphysische


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