- 32 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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4.2.  Der Begriff des Historismus

Der Begriff »Historismus« ist vieldeutig. Zunächst geht man davon aus, dass Historismus als Schlagwort eine Denkweise meint, die sich auf die Geschichte konzentriert und dem historischen Denken eine zentrale weltanschauliche Bedeutung zuschreibt.5

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Jaeger, F. / Rüsen, J., a. a. O., S. 2.
In polemischer und negativer Verwendung bezeichnet Historismus den Positivismus des historischen Denkens6
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Positivismus bedeutet hier ein historisches Denken, in dem es vor allem auf eine genaue und überprüfbare Ermittlung historischer Fakten ankommt und das sich um tiefgreifende Zusammenhänge dieser Fakten sowie um die Rolle des historischen Wissens in der Gegenwart wenig kümmert (vgl. Jaeger, F. / Rüsen, J., a. a. O., S. 6).
oder Relativismus7
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Für ein historisches Denken, das die Vergangenheit nicht in klaren Zusammenhängen mit der Gegenwart sieht, sondern sie geradezu gegen solche Zusammenhänge für sich in ihrer jeweiligen Eigenart zu verstehen sucht, gibt es keinen die Unterschiedlichkeit vergangener Zeiten übergreifenden Wertmaßstab des historischen Urteils mehr. Bezeichnet Historismus dieses Denken, dann wird ihm oft der Relativismus zugeschrieben (vgl. ebd.).
. Die positive und neutrale Bezeichnung des Wortes »Historismus« wird für ein historisches Denken verwendet, das über die Fähigkeit verfügt, alle Bereiche des menschlichen Lebens in geschichtlichen Zusammenhängen, in zeitlichen Bewegungen, zu sehen.8
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Ebd., S. 6.
Diesem Begriff des Historismus schreiben Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen das »moderne historische Denken« zu: Der Begriff »Historismus« erhält einen Erkenntnischarakter. Dabei geht es um die Erkenntnis der Veränderlichkeit der menschlichen Welt und damit um diejenige der Vielfalt und der Verschiedenheit des menschlichen Lebens. Unter Historismus wird ein neutrales historisches Denken, mit anderen Worten, der Prozess der grundsätzlichen Historisierung alles unseres Denkens über den Menschen, seine Kultur und seine Werte verstanden.9
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Troeltsch, E., Der Historismus und seine Probleme, Gesammelte Schriften, Bd. 3, Tübingen: Mohr, 1922, S. 102.

Betrachtet man jedoch den Historismus als Grundlage der historischen Wissenschaften, insbesondere der Geschichtswissenschaften / Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts, bedeutet Historismus nicht die moderne Form des historischen Denkens, sondern dessen erste Ausprägung in den Denkformen der historischen Wissenschaften des 19. Jahrhunderts.10

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Jaeger, F. / Rüsen, J., a. a. O., S. 7.
Unter Historismus versteht man nun die Art der Begriffsbildung der historischen Forschung, welche die Geschichtswissenschaften / Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert charakterisiert. Der Historismus beschäftigt sich dabei mit der Frage, wie die Erkenntnis des Geistes / der Geschichte möglich ist. Ausgehend davon, dass die Möglichkeit der Erkenntnis der Natur schon von den Denkern der Neuzeit begründet wurde, und dass die Grundlage der Naturwissenschaft als Erfahrungswissenschaft durch die Philosophie Immanuel Kants bestimmt wurde, führt der Historismus die erstere Fragestellung zur weiteren, wie die Geisteswissenschaft / Geschichtswissenschaft als Erfahrungswissenschaft zu begründen ist. Versteht man somit unter Historismus die für die Geschichtswissenschaft / Geisteswissenschaft des 19. Jahrhunderts maßgebliche Denkform,11
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Ebd., S. 8.
lässt sich der Historismus als Wissenschaftskonzept auffassen.


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