- 35 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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der Naturabsicht –, dem die geschichtlich handelnden Menschen unbewusst folgen. Bei Hegel wird die geschichtliche Systematisierung durch eine absolute Vernunftteleologie begründet: Den Kern seiner Geschichtsphilosophie bildet der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist.18
18
Hegel, G. W. F., Die Vernunft der Geschichte, 5. Aufl. (Hrsg. J. Hoffmeister) Hamburg: Meiner 1966, S. 28.
Ihm zufolge gewinnt Geschichte den Charakter einer Selbstverwirklichung des Geistes. Hegels Geschichtsbetrachtung liegt nicht ein besonderer Zweck eines subjektiven Geistes, sondern ein allgemeiner, absoluter Zweck zugrunde.

4.4.  Entstehung des Historismus – Johann Gottfried Herder

Der Historismus ist primär durch die Skepsis gegenüber der Möglichkeit geschichtlicher Systematisierungen gekennzeichnet. In diesem Sinne hat der Historismus als seinen Urheber Johann Gottfried Herder. Gegen die aufklärerische Geschichtsbetrachtung gibt Herder dem historischen Denken eine neue Richtung. Wie Ernst Cassirer Herder als »den Kopernikus der Geschichte« bezeichnet, vollzieht das historische Denken durch Herder eine eigentümliche Umkehr: eine Art von »kopernikanischer Drehung«, die der Geschichtswissenschaft eine neue Gestalt gibt.19

19
Cassirer, E., a. a. O. (Anm. 13), S. 226.

Herder richtet sich gegen die Geschichtsphilosophie der Aufklärung. Für ihn gibt es keinen linearen Fortschritt. Im Gegensatz zur Geschichtsphilosophie der Aufklärung, in der es sich nicht um Individuen, sondern um einen allgemeinen Zweck der Geschichte – Natur, Weltgeist, Vorsehung – handelte, bildet der Individualitätsbegriff Herders Kerngedanken. In der Geschichte geht es nicht um die unveränderliche Gattung »Mensch«, sondern um deren Exemplare bzw. die historischen Individualitäten. Bei ihm ist daher die Geschichte eine Abfolge unverwechselbarer Individualitäten, bzw. von »Volksgeistern« und »Nationen«, die die Gattung »Mensch« unter bestimmen Bedingungen in jeweils einmaliger Weise verkörpern.20

20
Schnädelbach, H., a. a. O. (Anm. 14), S. 25.
Aus dem Begriff der historischen Individualitäten interpretiert Herder das Vergangene nicht vom normativen Standpunkt des aufgeklärten gegenwärtigen Bewusstseins aus. Jede Epoche soll aus sich heraus verstanden werden.

Der von Herder vertretene Historismus ist durch das Ideal der Humanität geschützt, gerät somit nicht in den Relativismus. Die Humanität ist das Ziel der Geschichte und der Menschennatur. Herder zufolge sind alle einzelnen Völker und alle einzelnen Epochen nur Momente in der Entwicklung der Menschheit zu der Humanität. Der individuelle Mensch soll daher die Humanität entwickeln. Das Herdersche Denken, Geschichtliches in seiner Einmaligkeit und individuellen Entwicklungen zu sehen, beeinflusst die deutsche Romantik, in welcher der Historismus sich als eine historische Fachdisziplin zu konstituieren beginnt.


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