historische Wissenschaftskonzeption, in der
sich die Geschichtswissenschaften von den Naturwissenschaften abgrenzen.
Bei Droysen wird der Begriff der Geschichte durch den Vergleich mit dem der Natur definiert.
Natur und Geschichte sind für ihn die Grundbegriffe, unter denen der Mensch die Welt
auffasst.25
Vgl. Droysen, J. G., Grundriss der Historik, München / Berlin: R. Oldenbourg, 1937, S. 325.
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Ihm zufolge unterscheidet die menschliche Auffassung die Erscheinungen,
die als das Nebeneinander des Seienden (dem Raum nach) scheinen, von
denjenigen, die als das Nacheinander des Gewordenen (der Zeit nach)
scheinen.26
Die Erscheinungen, in denen sich ein Fortschreiten bzw. das Nacheinander zeigt, werden
als Geschichte aufgefasst. Die Droysen’sche Abgrenzung der Geschichte von der Natur
bezieht sich also nicht auf ontologische Bereiche, sondern erfolgt durch die menschliche
Auffassungsweise. Sein Begriff der Geschichte umfasst daher zunächst nicht den
Gegenstand als die Geschehnisse, sondern bedeutet das Wissen von diesem
Gegenstand: Geschichte ist nicht die Summe der Geschehnisse, nicht aller Verlauf
aller Dinge, sondern ein Wissen von dem Geschehenen und das so gewußte
Geschehene.27
In der gleichen Zeit findet die Debatte von den zeitgenössischen Historikern statt, die
eine neue Methode der historischen Forschung gegen die hermeneutische Methode
herausgefordert haben. Die Schrift von H. T. Buckle »History of civilization in England«
(1859/61), die geschichtliches Wissen analog zu den Naturwissenschaften formuliert,
bildet einen Leitfaden. In der Rezension dieser Schrift betont Droysen gegenüber Buckle
den sittlichen Charakter der menschlichen Welt, indem er die Geschichte auf die
Menschenwelt in ihrem Fortschreiten einschränkt. Die sittliche, menschliche Welt meint
die Bestimmtheit menschlichen Handelns durch Absichten und Deutungen. Die sittliche
Welt ist nach Droysen der naturwissenschaftlichen Methode nicht zugänglich. Sie ist
also das Gebiet der historischen Forschung. Diese historische, sittliche Welt
lässt sich ihm zufolge nicht in der Art der Naturwissenschaft erklären, sondern
verstehen.
Die historische Forschung will nicht erklären, d. h. aus dem Früheren
das Spätere, aus Gesetzen die Erscheinungen als notwendig, als bloße
Wirkungen und Entwicklungen ableiten. Läge die bloße Notwendigkeit
des Späteren in dem Früheren, so wäre statt der sittlichen Welt
ein Analogon der ewigen Materie und des Stoffwechsels. Wäre das
geschichtliche Leben nur Wiedererzeugung des immer Gleichen, wäre es
ohne Freiheit und Verantwortlichkeit, ohne sittlichen Gehalt, nur organischer
Natur.28
Die allgemeine Charakteristik der historischen Methode als forschendes
Verstehen29
geht bei Droysen in die Methodik des historischen Forschens über. Er nennt als drei
wichtige Aspekte der wissenschaftlichen Methodik Heuristik, Kritik und Interpretation:
1. Heuristik ist die Lehre von der Beschaffung des historischen Materials zur historischen
Arbeit;30 2.
Kritik ist die Lehre von der Bestimmung und
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