- 39 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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4.8.  Kritik der historischen Vernunft – Wilhelm Dilthey

Wilhelm Diltheys erkenntnistheoretisches Programm – von ihm als »Kritik der historischen Vernunft« bezeichnet – geht vom Faktum der Geschichtswissenschaften aus und zielt auf die Forschung über die Natur und die Bedingung des geschichtlichen Bewußtseins. Nach Dilthey blieben noch im 18. Jahrhundert nur die Geschichtswissenschaften der Metaphysik untergeordnet, während sich fast alle Einzelwissenschaften seit dem Ende des Mittelalters von der Metaphysik emanzipiert hätten. Anschließend seien sie unter die Herrschaft der Naturwissenschaften geraten. Dilthey sieht in dem bisherigen Historismus trotz dessen Emanzipation der Geschichtswissenschaft den Mangel an einer präzisen Erkenntnistheorie. So versucht er mit seinem Programm der Erkenntnistheorie der positivistischen Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden für die geschichtliche Forschung entgegenzuwirken.

Dilthey geht zunächst davon aus, dass der Aufbau der Naturwissenschaften durch die Art bestimmt [ist], wie ihr Gegenstand, die Natur, gegeben ist.36

36
Dilthey, W., Gesammelte Schriften 7, Stuttgart: B. G. Teubner, 1958, S. 89.
Die Gegenstände der Naturwissenschaften sind Erscheinungen, die unter allgemeinen Gesetzen subsumiert werden. Um die den Sinnen zugängliche physische Welt allgemeinen Gesetzen zu unterlegen, bedarf es der Ausschaltung des erlebenden Subjektes. Der Gegenstand Natur wird dem Subjekt transzendent.

Wir bemächtigen uns dieser physischen Welt durch das Studium ihrer Gesetze. Diese Gesetze können nur gefunden werden, indem der Erlebnischarakter unserer Eindrücke von der Natur, der Zusammenhang, in dem wir, sofern wir selber Natur sind, mit ihm stehen, das lebendige Gefühl, in dem wir sie genießen, immer mehr zurücktritt hinter das abstrakte Auffassen derselben nach den Relationen von Raum, Zeit, Masse, Bewegung. Alle diese Momente wirken dahin zusammen, daß der Mensch sich selbst ausschaltet, um aus seinen Eindrücken diesen großen Gegenstand Natur als eine Ordnung nach Gesetzen zu konstruieren. Sie wird dann dem Menschen zum Zentrum der Wirklichkeit.37

37
Ebd., S. 82–83.

Die Begriffe der Naturwissenschaften sind ihm zufolge bloße Hilfsmittel, alle Sinnesphänomene durch Hypothese auf Bewegung unveränderlicher Träger derselben nach unveränderlichen Gesetzen zurückzuführen.38

38
Ebd., S. 90.

Demgegenüber beruht die Aussage bei den Geisteswissenschaften – so Dilthey – auf dem Erlebnis des Subjektes. In der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis ist das Wirkliche dem erlebenden Subjekt zugänglich. Den Ausgangspunkt seiner Erkenntnistheorie für die Geisteswissenschaften bildet somit die Überlegung des menschlichen Erlebnisses. Seine These lautet, dass wir ein Wissen nur von der sozialen und menschlichen Welt besitzen, niemals wirklich von der physikalischen Welt: Denn das Erlebnis umfasst den objektiv existierenden Gegenstand des Erlebnisses und den Erlebnisvorgang selbst; d. h. die objektive Realität der Welt ist im Erlebnis gegeben. Sobald ein Objekt erlebt wird, ist es kein physischer Tatbestand mehr, sondern Gegenstand der geisteswissenschaftlichen Forschung. Die Erkenntnis der


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