der Kreativität und des Genies durch die ästhetischen Gedanken eingeführt. In der
Neuzeit bezieht sich der Begriff »Komposition« auf die auf menschlicher Setzung
beruhende Kunst, [. . . ]: »Kunst« ist, im Gegensatz zu »Techne«, nicht Ausprägung des
von Natur Vorgezeichneten, sondern eine in sich selbst begründete menschliche
Tätigkeit.5
Die Musik als Kunst wird seit der neuzeitlichen Moderne nicht mehr als die
mathematische Struktur, sondern als das tönende Phänomen aufgefasst:
Die Ars musica entfernte sich aus dem mathematischen Quadrivium
und die Tonkunst wurde mehr und mehr als eine der schönen Künste
angesehen.6
Es ist dabei festzustellen, dass ein Zusammenhang zwischen dem oben erwähnten
Gegensatz der Musikauffassung »Techne« – »Kunst« und der von den Neukantianern
dargelegten Antithetik »Natur« – »Kultur« besteht. Die moderne ästhetische Auffassung
der Musik als auf menschlicher Setzung beruhende Kunst begründet somit die
geschichtliche Forschung der Musik, deren Gegenstand die der »Kultur« im Sinne der
Neukantianer zugeordnete Musik bildet.
Die auf Grundlage der romantischen Kunstauffassung und -ästhetik begründete,
geschichtliche Musikforschung konzentriert sich vornehmlich auf die Werkbetrachtung.
Der Begriff des Musikwerks, der nach den Kriterien der Kunstwerkästhetik des 18. und
19. Jahrhunderts im emphatischen Sinne gebraucht wird, wird auf Werke früherer Epochen
übertragen.7
Vgl. Redmann, B., Entwurf einer Theorie und Methodologie der Musikanalyse, Laaber:
Laaber, 2002, S. 56–57.
|
Das Prinzip der gesamten Musikhistorie bildet somit nach Dahlhaus eine ästhetische Prämisse des
18. und 19. Jahrhunderts – die Überzeugung, daß ein Werk originell sein müsse, um authentisch
zu sein [. . . ].8
Dahlhaus, C., Grundlagen der Musikgeschichte, Köln: Hans Gerig, 1977, S. 24.
|
An dieser ästhetischen Überzeugung orientiert richtet sich die Musikhistorie
auf die Entwicklung der Musik als Ursprungsgeschichte des autonomen,
individuellen, in sich selbst begründeten und um seiner willen existierenden
Kunstwerks.9
Ein Ausgangspunkt ist dabei die geschichtsphilosophische Annahme, dass
sich die Musikwerke im Laufe der Geschichte entfalten, indem sie die
ungelösten Probleme früherer Epoche aufgreifen. Dem Hauptinteresse der
Musikgeschichtsschreibung gilt demnach eine Kompositions- oder musikalische
Technikgeschichte. Sie ist nach Dahlhaus die Geschichte der »musikalischen
Logik« – der thematisch-motivischen Arbeit, der entwickelnden Variation und der
Konstruktion von zugleich differenzierten und weitgespannten harmonisch-tonalen
Zusammenhängen.10
Diese Musikhistorie beschreibt die Ausbildung von Mitteln, mit denen Musik ihre
Autonomie – und das heißt: den Anspruch um ihrer selbst willen gehört zu werden –
rechtfertigt.11
Die Musikgeschichtsschreibung richtet sich dabei auf die Werkindividualität,
die auf der romantischen Vergangenheits- und Genieästhetik beruht,
in welcher die Individualität bzw. der hinter dem Werk stehend[e]
Komponist12
akzentuiert wird. Dahlhaus formuliert dies wie folgt:
|