- 47 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Das Verfahren, Musikgeschichte zu schreiben, resultiert aus dem Zusammentreffen einer romantischen Ästhetik, die in der musikalisch ausgedrückten Individualität von Komponisten das »poetische« Wesen, den Kunstcharakter von Musik erkannte, mit einem historiographischen Positivismus, der die musikalischen Werke in isolierbare Teilmomente zerdrückte, um zu Fakten zu gelangen, die einerseits greifbar waren und sich andererseits zu geschichtlichen Reihen zusammensetzen ließen.13
13
Ebd., S. 45.

Die biographische Forschung stellt somit das Grundinstrumentarium der Musikgeschichtsschreibung dar, da das Leben des Komponisten als Vorkenntnis zur Deutung eines Musikwerkes als dessen tönenden Ausdruck gefordert wird. Ein Musikwerk wird in der geschichtlichen Musikforschung als Dokument aufgefasst.

5.2.  Vermittlung zwischen Ästhetik und Historie durch die Geschichtlichkeit der Musik

Dahlhaus erfasst Ästhetik und Historismus als zwei Achsen der Musikgeschichtsschreibung und thematisiert die Vermittlung zwischen Kunst und Geschichte als ein fundamentales Problem einer musikwissenschaftlichen Historik. Wenn der ästhetische Aspekt die Musikgeschichtsschreibung dominiert, besteht nach Dahlhaus die Gefahr, dass sie ihren geschichtlichen Charakter beispielsweise durch die Sammlung von Strukturanalysen einzelner Werke verliert. Beherrscht dagegen der historische Bezug in Form von ideen- oder sozialgeschichtlichen Vorgängen die Ästhetik, so droht der Kunstcharakter ihrer Gegenstände übersehen zu werden. Die Musikgeschichtsschreibung ist mithin häufig – so Dahlhaus – entweder durch keine »Geschichte« der Kunst oder durch keine Geschichte der »Kunst« gekennzeichnet.14

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Vgl. ebd., S. 37.

Das Problem keiner »Geschichte« der Kunst sieht Dahlhaus im von ihm als Traditionalismus bezeichneten musikalischen Historismus, bzw. in der Vorherrschaft der Vergangenheit, insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts in der musikalischen Praxis. Der auf die Musikpraxis bezogene Historismus stützt sich auf eine Interpretation der metaphysischen Ästhetik, die das Schöne zeitlos erfasst.15

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Vgl. Dahlhaus, C., Geschichtliche und ästhetische Erfahrung, in: Wiora, W. (Hrsg.), Die Ausbreitung des Historismus über die Musik, Regensburg: Gustav Bosse, 1969, S. 244.
Der sich beispielsweise aus einer solchen Ästhetik ergebende Begriff des Klassischen – im ästhetischen, nicht im stilistischen Sinne – sei nach Dahlhaus nichts anderes als Ausdruck einer naiven Metaphysik.

Laut Dahlhaus kann das Vermittlungsproblem zwischen Autonomieästhetik und historischem Bewusstsein in der Musikgeschichtsschreibung nur durch die Geschichtlichkeit der Musik gelöst werden, wobei er unter der Geschichtlichkeit der Musik eine Interpretation, die das einzelne Werk dadurch in der Geschichte zu sehen erlaubt, daß sie umgekehrt die Geschichte im einzelnen Werk zu erfassen vermag, versteht.16

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Dahlhaus, C., Grundlagen der Musikgeschichte, Köln: Hans Gerig, 1977, S. 49.


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