Das Verfahren, Musikgeschichte zu
schreiben, resultiert aus dem Zusammentreffen einer romantischen Ästhetik,
die in der musikalisch ausgedrückten Individualität von Komponisten das
»poetische« Wesen, den Kunstcharakter von Musik erkannte, mit einem
historiographischen Positivismus, der die musikalischen Werke in isolierbare
Teilmomente zerdrückte, um zu Fakten zu gelangen, die einerseits greifbar
waren und sich andererseits zu geschichtlichen Reihen zusammensetzen
ließen.13
Die biographische Forschung stellt somit das Grundinstrumentarium der Musikgeschichtsschreibung dar, da das Leben des Komponisten als Vorkenntnis zur Deutung eines Musikwerkes als dessen tönenden Ausdruck gefordert wird. Ein Musikwerk wird in der geschichtlichen Musikforschung als Dokument aufgefasst.
5.2. Vermittlung zwischen Ästhetik und Historie durch die Geschichtlichkeit der MusikDahlhaus erfasst Ästhetik und Historismus als zwei Achsen der Musikgeschichtsschreibung und thematisiert die Vermittlung zwischen Kunst und Geschichte als ein fundamentales Problem einer musikwissenschaftlichen Historik. Wenn der ästhetische Aspekt die Musikgeschichtsschreibung dominiert, besteht nach Dahlhaus die Gefahr, dass sie ihren geschichtlichen Charakter beispielsweise durch die Sammlung von Strukturanalysen einzelner Werke verliert. Beherrscht dagegen der historische Bezug in Form von ideen- oder sozialgeschichtlichen Vorgängen die Ästhetik, so droht der Kunstcharakter ihrer Gegenstände übersehen zu werden. Die Musikgeschichtsschreibung ist mithin häufig – so Dahlhaus – entweder durch keine »Geschichte« der Kunst oder durch keine Geschichte der »Kunst« gekennzeichnet.14
Das Problem keiner »Geschichte« der Kunst sieht Dahlhaus im von ihm als Traditionalismus bezeichneten musikalischen Historismus, bzw. in der Vorherrschaft der Vergangenheit, insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts in der musikalischen Praxis. Der auf die Musikpraxis bezogene Historismus stützt sich auf eine Interpretation der metaphysischen Ästhetik, die das Schöne zeitlos erfasst.15
Laut Dahlhaus kann das Vermittlungsproblem zwischen Autonomieästhetik und historischem Bewusstsein in der Musikgeschichtsschreibung nur durch die Geschichtlichkeit der Musik gelöst werden, wobei er unter der Geschichtlichkeit der Musik eine Interpretation, die das einzelne Werk dadurch in der Geschichte zu sehen erlaubt, daß sie umgekehrt die Geschichte im einzelnen Werk zu erfassen vermag, versteht.16
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