- 48 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Ein Modell der Idee einer gleichzeitigen »Geschichte« der Kunst und einer Geschichte der »Kunst« sieht Dahlhaus z. B. im Formalismus, der als eine Theorie der Kunstgeschichte am Anfang des 20. Jahrhunderts fungiert. Der Formalismus ist eine Auffassung der Kunstgeschichte als Prozeß einer Automatisierung der ästhetischen Wahrnehmung und einer dadurch herausgeforderten Verfremdung durch Erneuerung der Kunstmittel.17
17
Ebd., S. 202.
Der Formalismus interpretiert das ästhetische Moment, den Kunstcharakter der Werke, nicht metaphysisch – mit Kategorien der Philosophie des Schönen –, sondern historisch.18
18
Der Begriff einer Verfremdung der Wahrnehmung durch Erneuerung der Kunstmittel – einer Verfremdung des Gewohnten und Eingeschliffenen, von der ein Zwang zu genauer Betrachtung, und das heißt: zu einem ästhetischen Verhalten ausgeht – ist außer einer psychologischen zweifellos eine historische Kategorie (ebd., S. 202).
Dadurch wird die Rekonstruktion einer internen Geschichte der Kunst als Kunst – nicht als bloßes Dokument für sozial- oder ideengeschichtliche Vorgänge19
19
Ebd., S. 203.
– behauptet. Damit zielt der Formalismus auf die Aufhebung von metaphysischer Ästhetik und Historie. Der Formalismus exemplifiziert demnach Dahlhaus zufolge die »Geschichte« der Kunst, die gleichwohl eine Geschichte der »Kunst« ist.

Dahlhaus bemüht sich somit auch für die Musikgeschichtsschreibung um die Historisierung der Forschungsmethode. Mit der »Historisierung« meint Dahlhaus nicht nur die Aneignung der Vergangenheit, sondern auch eine distanzierende Vergegenständlichung der Vergangenheiten. Dahlhaus vergleicht dabei den »theoretischen Historismus« als Denkform der Musikgeschichtsschreibung mit dem »praktischen Historismus«, der vorwiegend für die Restauration älter Musik in der Musikpraxis konzipiert wird und seiner Ansicht nach gegen die Geschichtlichkeit gerichtet zu sein scheint. Er fordert mithin für die Geschichtlichkeit der Musikhistorie ein abstrakte[s] historische[s] Bewusstsein, das als »theoretischer Historismus« bezeichnet wird.20

20
Vgl. Dahlhaus, C., Das abstrakte historische Bewußtsein, in: Hansen, Wilhelm (Hrsg.), Report of the eleventh congress Copenhagen 1972, Copenhagen: 1974, S. 174–176.

Im Gegensatz zu dem »praktischen Historismus« der Musikpraxis steht der »theoretische Historismus« in einer engen Beziehung zur geschichtsphilosophischen Ästhetik21

21
Für das Konzept der geschichtlichen Ästhetik folgt Dahlhaus der Ästhetik Hegels, denn die Theorie der schönen Künste als Theorie von deren Geschichtlichkeit zu entfalten, ist das Konzept der Hegelschen Ästhetik, in der die Kunstgattungen als geschichtliche Gestalten religiösen Bewußtseins gedeutet werden (s. Nowak, A., Musikästhetik, in: Finscher, L. (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 6, 2. neu bearbeitete Aufl. 1997, Sp. 987).
: d. h. zur Geschichtsphilosophie des Schönen [. . . ], die ästhetische und geschichtliche Erfahrung ineins setzt.22
22
Dahlhaus, C., Geschichtliche und ästhetische Erfahrung, in: Wiora, Walter (Hrsg.), Die Ausbreitung des Historismus über die Musik, Regensburg: Gustav Bosse, 1969, S. 244.
Historie wird für Dahlhaus im »theoretischen Historismus« zu einem wesentlichen Moment der Ästhetik:

Die geschichtliche Umwelt bildet nicht eine äußere und zufällige Entstehungsbedingung, die im Resultat aufgehoben und ästhetisch gleichgültig ist, sondern greift in den Gehalt ein. Die Gegenwart eines Werkes in seiner Zeit erscheint als Wesensmoment, als »substantielle Gegenwart«.23

23
Ebd.


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