5.4. Anti-Naturalistische Forschung der Historischen MusikwissenschaftDie romantische Auffassung der autonomen Tonkunst als Tonsprache, die das Vermögen der Musik, etwas auszudrücken, beinhaltet, schließt die Universalsprachlichkeit von Musik ein. Sie begründet die hermeneutische Forschung der Musik, denn: 1. Eine hermeneutische Methode erscheint der Musik als Tonsprache angemessen, um den nichtsprachlichen Gehalt von Musik mit der sprachlichen Vermittlung zu fassen. 2. Die Tonkunst als ein wissenschaftliches Objekt gehört nach den Neukantianern im 19. Jahrhundert zu einem Gegenstand des hermeneutischen Verstehens. Sie wird nicht losgelöst vom Lebenszusammenhang des Komponisten bzw. Rezipienten betrachtet, sondern gerade aus diesem heraus interpretiert und verstanden.32
Die geschichtliche Forschung der Musik, deren hermeneutische Methode mit Hilfe der erkenntnistheoretischen Grundlage der Geschichtwissenschaften im 19. Jahrhundert eingeführt wurde, stellt den von den Neukantianern dargelegten Gegensatz Natur – Kultur in der musikwissenschaftlichen Forschung dar. Dahlhaus bestimmt die Gegenstände der Musikhistorie mit dem Schema der Entgegensetzung Natur – Kultur / Geschichte. In den musikalischen Phänomenen ordnet er z. B. ein Tonsystem dem Paradigma der Natur zu, ein in einer Komposition verwirklichendes Kunstwerk dem Paradigma der Kultur / Geschichte. Von der Auffassung der Musik als kompositorische Kunst ausgehend stellt Dahlhaus die weiteren Gegensätze von Natur – Kunst, Vor-musikalische Tatsache – Musikalische Tatsache33
Die geschichtliche Forschung der Musik, die laut Windelband und Rickert durch individualisierende Methode gekennzeichnet werden kann, bezieht sich nicht auf die überzeitliche Natur, sondern auf die individuellen, unwiederholbaren und singulären Kunstwerke. Infolgedessen unterliegt den Musikhistorikern die Überzeugung, dass die fundamentalen Kategorien der Musik nicht von Natur gegeben, sondern »durch und durch geschichtlich« seien.35
Die in der Musikforschung weiter bestehenden Gegensätze, die auf der im 19. Jahrhundert durchgehaltenen Antithetik von »Natur« und »Geist« beruhen, fasst Albrecht Schneider wie folgt zusammen:36
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