6.2. Das postmoderne Wissen
Die Krise des modernen wissenschaftlichen Wissens, die sich aus der inneren Erosion des
Legitimationsprinzips des Wissens ergibt, ist nach Lyotard die »condition postmoderne«.
Das postmoderne Wissen kommt durch den Entwicklungsprozess der Wissenschaft
zustande, der die moderne Rationalität der Wissenschaft und die Suche nach der
Wahrheit der Wissenschaft zerbricht. Lyotard erwähnt zwei Phänomene vom Prozess
der Wissenschaft, welche zum Zerfall des Prinzips der Moderne führen: 1. Das
wissenschaftliche Aussagen konstituierende Gültigkeitskriterium hat sich durch die
zunehmende Verbindung der Wissenschaft mit der Technik von der Idee der
Wahrheit zur Idee der Effizienz verlagert. Die Wissenschaft ist demnach zur
Produktivkraft geworden. 2. Die elementaren Wissenschaften, vor allem Mathematik und
Naturwissenschaft beschränken den Anspruch ihrer Gültigkeit auf das streng durch ihre
Paradigmen konstituierte Terrain.
Hinsichtlich Punkt 1 ist festzustellen, dass die Technologisierung der Wissenschaft
das beherrschende Moment der gegenwärtigen Wissenschaftsentwicklung ist.
Durch die Verbindung der Technik mit dem Kapital werden wissenschaftliche
Informationen zur Produktivkraft. Der Fortschritt des Wissens wird der Technologie
untergeordnet. Im postmodernen Wissen geht es infolgedessen – so Lyotard – um die
Verfügung über die Technik: Es handelt sich um Produktion, Speicherung,
Zugänglichkeit und Operationalität von Information. Die »Erzählungen« der
idealistischen oder humanistischen Legitimierung werden gestoppt. Das
postmoderne Wissen, dessen Zweck nicht mehr in der Realisierung der Idee
oder in der Emanzipation des Menschen liegt, hat Lyotrad zufolge ein anderes
»Sprachspiel«,8
bei dem es nicht um Wahrheit, sondern um Performativität, d. h. das bessere Verhältnis von
Input/Output,9
Lyotard, J. F., a. a. O., S. 135.
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geht. Die Legitimierung durch die Performativität intendiert bei Lyotard nicht die
Rede vom Ende des Wissens, denn die Enzyklopädie von morgen, das sind die
Datenbanken.10
Nun ist es erlaubt, sich die Welt des postmodernen Wissens als von einem
Spiel vollständiger Information geleitet vorzustellen, in dem Sinne, daß
hier die Daten im Prinzip allen Experten zugänglich sind: Es gibt kein
wissenschaftliches Geheimnis. Bei gleicher Kompetenz hängt der Zuwachs an
Performativität – in der Produktion des Wissens und nicht mehr in seinem
Erwerb
– also letztlich von dieser »Phantasie« (»imagination«) ab, die entweder
erlaubt, einen neuen Spielzug durchzuführen, oder die Regeln des Spiels zu
verändern.11
Die neuen Regeln von Sprachspielen werden andererseits, was Punkt 2 anbelangt,
in der Entwicklung der elementaren Wissenschaften seit dem Ende des
19. Jahrhunderts verändert. In einer ersten Phase wird der Abschied vom Ganzen
vollzogen. Dafür führt Lyotard Gödels Unvollständigkeitssatz an. Gödel hat –
so Lyotard – die Existenz einer Behauptung, die im System weder beweisbar
noch widerlegbar ist, im arithmetischen System begründet; was zur Folge
hat, dass das arithmetische System
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