- 72 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Nach meiner Ansicht ist die deutsche musikwissenschaftliche Interpretation des Phänomens »musikalische Postmoderne« zu hinterfragen: Dahlhaus’ von den Begriffen »Beziehung« und »Beziehungslosigkeit« ausgehende Argumentation, die Bezug auf die »bestimmte Negation« postmoderner Musik in Form einer Abkehr etablierter E-Musik nimmt, verbleibt im Diskurs deutscher Musikwissenschaft. Es stellt sich die Frage, ob die deutsche musikwissenschaftliche Interpretation der »bestimmten Negation« vermeintlich Postmoderner Musik stichhaltig ist. Bezieht sich die der musikalischen Postmoderne zugesprochene »bestimmte Negation« tatsächlich nur auf gewisse Erscheinungen der E-Musik? Wird ein »post« nicht zu simplifizierend im Sinne von »anti« benutzt? Oder wird ein im Wesentlichen globales, kulturelles Phänomen wie das der Postmoderne, das in enger Beziehung zur Alltagskultur und U-Musik steht, in dieser raumzeitlich lokalisierten stark eingeschränkten, historisch-musikwissenschaftlichen Interpretation nicht provinzialisiert?

7.3.  Die Debatte um Postmoderne in der Popmusikforschung

Die Auffassung der Postmoderne als Stilbegriff findet man auch im Bereich der populären Musik. Beispielsweise wird die Musik von John Zorn mit ihrer offenen Form und ihrer speziellen Kompositionstechnik als neuer, postmodern zu bezeichnender Stil aufgefasst. Aber die im Rahmen der Popmusikforschung stattfindende Diskussion über die Postmoderne zeigt meistens einen anderen Aspekt als diejenige in der Historischen Musikwissenschaft: Postmoderne Musik als Stilbegriff in der Popmusikforschung beinhaltet die Kritik an dem die moderne Kunst legitimierenden, ästhetisch-wissenschaftlichen modernen Bewusstsein selbst. Daher erhält die Gattung der populären Musik selbst den Titel der postmodernen Musik als Stilbegriff.

Jörg Mischke, der in Deutschland die Diskussion um die postmoderne Musik in Bezug auf die populäre Musik durchführt41

41
Mischke, J., Pluralismus der ästhetischen Erfahrung oder Wie postmodern ist populäre Musik?, in: PopScriptum 1/91, S. 89–95.
, stützt sich auf die optimistische Auffassung der Postmoderne. Damit versteht Mischke unter Postmoderne eine auf die Zukunft hin offene Epoche mit wachsenden Möglichkeiten. Einen zentralen Begriff für die Postmoderne stellt bei Mischke die Pluralität dar: die Vielfalt verfügbarer Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten. Die Pluralität gewachsener Denk- und Handlungsmöglichkeiten unterscheidet sich von dem Pluralismus, unter dem er rein quantitative Anhäufung versteht. Im Gegensatz dazu ist die Pluralität durch den qualitative[n] Reichtum an Vielfalt gekennzeichnet.42
42
Ebd., S. 89.
Sein Begriff der Pluralität stützt sich auf Lyotards Diagnose für die Postmoderne als »Ende der großen Erzählungen«. Nach Mischke gewinnen zahlreiche populäre Genres, die in der Zeit der großen Erzählungen unterschätzt wurden, nun in der Zeit der Pluralität offenbar an Bedeutung.

Es sind ganz offensichtlich nicht die aus der jahrhundertlangen künstlerischen Materialentwicklung hervorgehenden Meisterleistungen, [...], sondern neue, einfache und überschaubar wirkende Phänomene - Lieder und Songs.


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