- 163 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Spannung und Entspannung im Umfeld von Körperrhythmen

Eines der wichtigsten Prinzipien im Umfeld von Rhythmus und Metrum ist der Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, Aktivität und Passivität bzw. betonten und unbetonten Zeiten. Diese Dualität ist in den physiologischen Vorgängen von Herzschlag, Atem und Bewegung – in der Regel unbewusst oder unbeachtet – ständig präsent. Während der Herzschlag ausschließlich vegetativ gesteuert wird und somit willentlichen Einflüssen kaum zugänglich ist, unterliegt der Atem einerseits zentral gesteuerten Prozessen und steht andererseits aktiver Einflussnahme offen. Im Bewegungsbereich wiederum ist (neben Reflexbewegungen und Automatismen) von einem großen Anteil willkürlicher Aktivitäten auszugehen.

Wenn es nun im musikpädagogischen Kontext um Strategien von Intervention und Einflussnahme geht, muss für den Bereich von Atem und Herzschlag festgehalten werden, dass deren Rhythmen eher passiv und unbewusst erlebt und gespeichert werden. Immerhin sind diese Erfahrungen von regelmäßiger Spannung und Entspannung grundlegend und eingebettet in den Kontext aller anderen früh engrammierten Erfahrungen. So kann in Unterrichtsprozessen darauf zurückgegriffen werden, dass ein (zumindest unbewusstes) Wissen um die Vorgänge von Spannung und Entspannung, Aktivität und Ruhe, Betonung und Nicht-Betonung besteht.

Jeder Mensch verfügt über ein implizites ›Wissen‹ um den periodischen Wechsel von Spannung und Entspannung.

Aktives Handeln wiederum ist grundsätzlich an Bewegungen gebunden. Der Definition folgend, Rhythmus sei Bewegung in Zeit und Raum (vgl. Abschnitt 4.4.3) ist jede Bewegung als rhythmisch zu bezeichnen. Vielfältige Erfahrungen aus dem Bewegungsbereich sind nach dieser Definition also auch vielfältige rhythmische Erfahrungen. Wenn es in der Musikausübung dann nicht mehr um eher zufällige, sondern um differenzierte, intentional gesteuerte Bewegungen geht, kann wiederum davon ausgegangen werden, dass ein implizites Wissen um Bewegungsrhythmen schon vorhanden ist. Rhythmus in der Bewegung ist demnach keine Spezialfertigkeit, die nur für wenige Auserwählte (›Musikalische‹ oder ›Begabte‹) zugänglich ist, sondern eine biologische Anlage, die in einem kundigen Musikunterricht als Grundlage für eine weitergehende Entwicklung in Richtung ästhetisch relevanter Aktionen dienen kann. Während die oben beschriebenen vegetativen Prozesse von Atem und Herzschlag sich einer Einflussnahme entziehen, ist der Bewegungsraum von Kindern und ein entsprechendes Bewegungsangebot durchaus gestaltbar:

Ein ausreichendes Angebot differenzierter Bewegungsmöglichkeit ist ein grundlegender Schritt auf dem Weg zu rhythmisch-metrischer Stabilität.

Darüber hinaus ist der Bereich Bewegung aber auch eine Schnittstelle zwischen reflexhafter und bewusst gesteuerter Bewegung. Bis in das Erwachsenenalter hinein wird der Mensch ›eingeholt‹ von frühen Mustern, als ein Beispiel sei nur der Greifreflex genannt, der auch im fortgeschrittenen Alter dafür sorgt, dass wir unter Anspannung Dinge fester umklammern als eigentlich notwendig. Umgekehrt ist das Anknüpfen an früh angelegte rhythmische Bewegungsmuster eine große Chance in pädagogischen Handlungsfeldern.


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