- 164 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Körperrhythmen als frühe Erfahrung von Regelmäßigkeit

Neben den dynamischen, nicht zyklisch wiederholten Bewegungen hat der Mensch aber von Lebensbeginn auch die Erfahrung von regelmäßig gestalteter (Selbst-)Bewegung: Saugen oder Schreien (vgl. Abschnitt 5.1.3) sind ebenso periodisch geprägt wie das Bewegungsrepertoire, das als Stereotypien bezeichnet wurde (vgl. Abschnitt 4.4.2). Wenn in Abschnitt 8.1 formuliert worden war, dass das Empfinden für Gleichabständigkeit Grundlage aller rhythmisch-metrischen Prozesse sei, ist an dieser Stelle festzuhalten, dass der Körper gleichabständige Bewegungsmuster als ›biologische Grundausstattung‹ bereithält. Häufig wird im musikpädagogischen Umfeld konstatiert, eine Schülerin oder ein Schüler könne ›kein Metrum halten‹ (mit anderen Worten: könne keine Gleichabständigkeit realisieren), dem muss entgegengehalten werden, dass jeder Mensch im Rahmen seiner physiologischen Funktionen über (reflexhafte) Regelmäßigkeit verfügt hat: Jeder und jede hat rhythmisch gesaugt, gestrampelt, sich gewiegt oder lautiert. Auch wenn diese rhythmischen Fähigkeiten verloren zu sein scheinen, sind sie die eigentliche Basis musikpädagogischer Intervention. Wie konkrete methodische Wege aussehen können, wird weiter unten dargestellt werden (vgl. Kapitel 9).

Repetitiv gestaltete Bewegungen sind Bestandteil der menschlichen Entwicklung. In musikpädagogischen Prozessen gilt es, an diese frühen Zeitmuster anzuknüpfen.

Mensch, Musik und Hochkomplexsysteme

Rhythmus ist ein biologisches Prinzip, das Leistung optimiert und somit Überleben sichert. Als solches ist es über – wie auch immer geartete – interne Zeitgeber in der menschlichen Existenz fest verankert. Dies gilt nicht nur für die Steuerung zyklischer Prozesse, sondern besonders auch für deren Kombination. Wie dargestellt worden war (vgl. Abschnitt 4.2), hat die menschliche Physiologie die Tendenz, Körperrhythmen miteinander zu koordinieren. So gleichen sich Schritt- und Pulsfrequenz unter verschiedenen Umständen einander an, das Verhältnis von Puls und Atem nähert sich dem ungefähren Wert von 1 : 4. Jeder Pulsschlag ist unterteilt in Systole und Diastole, die im Verhältnis von 1 : 2 oder unter Belastung 2 : 1 stehen, also eine Dreizeitigkeit darstellen. Unter Belastung steigt nicht nur die Puls-, sondern auch die Atemfrequenz. Noch dazu gibt es das Phänomen, dass der Herzschlag im Verlauf des Atemrhythmus leichten Schwankungen unterliegt. Die verschiedenen physiologischen Funktionen laufen also nicht autark und unbeeinflusst, sondern in einem flexiblen, von verschiedenen Faktoren beeinflussten System von Wechselwirkungen ab. Benesch spricht in Bezug auf die mehrdimensionale zeitliche Organisation des Menschen von ›Hochkomplexsystemen‹ (vgl. Abschnitt 4.6). Hochkomplexsysteme zeichnen sich durch vielfältige interne Wechselwirkungen aus, deren Ergebnis sich nicht durch simples Aufaddieren bestimmen lässt – eine äußerst zutreffende Umschreibung für das, was im Spannungsfeld zwischen Mensch und musikalischem Rhythmus geschieht.

Für den Kontext musikpädagogischen Handelns bleiben zwei Tatsachen festzuhalten. Zum einen sind in Puls, Atem und Bewegung die Grundstrukturen vorhanden, auf denen auch musikalische Rhythmen aufbauen: Zwei-, Drei- und Vierzeitigkeit. Alle musikalischen Metren (im Sinne von Akzentschemata bzw. Taktarten)


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