- 48 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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nehmen und damit gezielte, willkürlich gesteuerte Bewegungen vorbereiten. Ein weiterer Bestandteil allen Unterrichtens ist Kommunikation. Rhythmisch betonte Aktivitäten wecken die Aufmerksamkeit und fördern die (gegenseitige) Zuwendung. Die Bedeutung von rhythmischen Stereotypien als Selbststimulation zeigt, wie lebensnotwendig rhythmisches Geschehen für den Menschen ist. Rhythmen helfen, die Konzentration aufrecht zu halten und begünstigen somit Lernprozesse. Konkrete Handlungsmodelle, die auf der Grundlage des verhaltensbiologischen Phänomens der rhythmischen Stereotypien basieren, werden in Kapitel 8 (vgl. die Abschnitte 8.2.2 und 8.3.2) dargestellt werden.

4.4.3.  Rhythmus als Merkmal differenzierter Bewegungsgestaltung

Jede Bewegung ergibt sich aus der Aktivität von Muskulatur – und jede Bewegung ist rhythmisch geprägt: Unter Bewegungsrhythmus verstehen wir die aus dem Spannungsverlauf der an der motorischen Effektproduktion beteiligten Muskeln sich ergebende räumlich-zeitliche Ordnung des Bewegungsablaufs. (Fetz 1977, S. 141).

Nach dieser Definition können alle biologischen Bewegungen als rhythmisch bezeichnet werden. Im Bereich Sport gibt es sowohl gleichmäßig wiederholte Aktionen – beispielsweise die Bewegung während des Ruderns – als auch einmalige Abläufe wie das Schlagen eines Golfballes. Während das Rudern mit gleichmäßigen, kontinuierlich wiederholten Bewegungen zyklisch abläuft, folgt dem Golfschlag der nächste in unbestimmtem Zeitabstand – also azyklisch. Bestimmend für die Zuschreibung ›rhythmisch‹ ist allein die Tatsache, dass Bewegungen in einem Wechselspiel von Spannung und Entspannung stattfinden.

Rhythmus ist die räumlich-zeitliche Ordnung eines Bewegungsablaufs.
Jede Bewegung – zyklisch oder nicht – kann dieser Definition nach als rhythmisch angesehen werden.

Ist Rhythmus messbar?

Auch wenn nach der obigen Definition davon auszugehen ist, dass jede Bewegung rhythmisch ist, kann im Musikunterricht nicht erwartet werden, dass jeder ausgeführte Rhythmus tatsächlich als gelungen anzusehen ist. Im Gegenteil: all zu oft erweist sich die Ausführung von Rhythmen als problematisch und unbefriedigend. Auch umgangssprachlich wird durchaus zwischen ›gutem‹ und ›schlechtem‹ Rhythmus unterschieden. Eine sehr eindrückliche (und sehr musikalische) Beschreibung dieses Sachverhalts gibt der Neurologe Oliver Sacks unter dem Titel »Der Tag, an dem mein Bein fortging«. Der Autor berichtet von seiner Erfahrung einer schweren Beinverletzung, die mit einer neurologischen Störung einherging. Ausführlich schildert er, wie er flankiert von zwei Krankengymnastinnen seine ersten Gehversuche unternehmen soll. Über mehrere Seiten führt Sacks plastisch aus, wie unbeholfen, ja geradezu grotesk die ersten Schritte ausfallen. Doch eine plötzliche Wandlung tritt in dem Augenblick ein, in dem im Patienten innerlich eine Musik von Mendelssohn erklingt:

[…] und in ebenjenem Moment, in dem meine »motorische« Musik, meine kinetische Melodie, mein Gang zurückkehrte – in genau diesem Moment


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