- 136 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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ist zusätzlich eine Orchesterbegleitung zu hören. Möglicherweise zeigte sich kein signifikanter Effekt, weil sich die Musikausschnitte in ihrer Komplexität nicht unterschieden. Vielleicht definiert sich Komplexität in der Musik über andere Kriterien als die berücksichtigten. Es könnte auch sein, dass der Aspekt der Komplexität für inneres Singen im Sinne einer Imitation oder Simulation völlig irrelevant ist, weil wir unsere Aufmerksamkeit vielleicht nur auf hervorstechende Merkmale der Musik (wie z. B. Melodiehöhepunkte, überraschende harmonische Wendungen, rhythmische Betonungen, Beginn und Ende von Phrasen, usw.) richten und auch nur diese im Gedächtnis behalten. Dies würde zumindest erklären, warum sich die Kehlkopfprozesse bei den verschiedenen Musikstücken nicht unterschieden.

»Interaktion« von Vertrautheit und Komplexität

Die oben beschriebene knapp nicht signifikante Wechselwirkung zwischen Vertrautheit und Komplexität ist im Wesentlichen auf die beim Hören und Vorstellen der Musik von Johann Sebastian Bach gemessenen EMG-Werte zurückzuführen. Bei diesem Ausschnitt aus der »Matthäuspassion« zeigte sich bei allen Untersuchungsteilnehmern unabhängig von der Reihenfolge der Hör- und Vorstellungsaufgaben die größte Kehlkopfaktivität. Aufgrund des bereits angesprochenen Problems der Vergleichbarkeit der verwendeten Musikstücke, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, warum die motorischen Prozesse im Kehlkopf beim Vorstellen dieses Musikbeispiels signifikant höher als bei den anderen ausfielen. Möglicherweise spielten hier tatsächlich Faktoren wie musikalische Komplexität bzw. Reichhaltigkeit der Komposition eine Rolle. Bei Bach erklangen gleichzeitig vier Chorstimmen mit Orchesterbegleitung (Tutti), wohingegen das Chorwerk von Johannes Brahms aufgrund der zeitlich versetzten Stimmeinsätze eher einen fugenartigen Charakter aufwies. Vielleicht wurden deshalb bei Bach die Chorstimmen nicht linear verfolgt, sondern zwischen den Stimmen »hin- und hergeschaltet« (z. B. zwischen Sopran und Bass). Wenn man davon ausgeht, dass die nachgewiesenen motorischen Prozesse etwas mit stimmlicher Imitation oder Simulation zu tun haben, so entstünden durch diese Vorgehensweise größere Tonintervalle, was wiederum stärkere Kehlkopfbewegungen bedingen könnte. Andere Faktoren wie Gesanglichkeit, emotionale Wirkung oder Intensitätsunterschiede der Stücke sind ebenfalls nicht auszuschließen.

Messzeitpunkt

Entgegen der Hypothese 5 erhöhten sich die EMG-Werte beim Hören und Vorstellen von Musik im Zeitverlauf. Der Effekt fiel allerdings nur bei der Messwiederholung der Höraufgabe signifikant aus. Ansonsten unterschieden sich die EMG-Werte beim Musikhören und Vorstellen des Gehörten der beiden Messungen nicht. Ein Habituierungs- bzw. Automatisierungseffekt zeigte sich somit offensichtlich nicht. Man könnte dies als Indiz für die Simulationstheorie deuten. Möglicherweise nehmen die Messwerte beim Hören bei einer Messwiederholung zu, weil dann durch die Wiederholung mehr Informationen behalten und in der Vorstellung/Erinnerung imitiert/simuliert werden. Die motorischen Prozesse beim erstmaligen Hören könnten sozusagen neue Wahrnehmungserlebnisse bahnen, weswegen man diese


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